Diskurs-Teilnehmer Johanna Onischke und Josef Scheiber über den Umgang mit (eigenen) Gesundheitsdaten und das Verhältnis Arzt-Patient
Wir stecken mitten in der medizintechnischen Datenrevolution: Smartwatches überwachen unsere Körperfunktionen, Kontaktlinsen können schon bald unseren Blutzuckerspiegel kontrollieren, Sensoren in Pillen Daten aus unserem Magen versenden. Im Tutzinger Diskurs „Big Data im Gesundheitswesen“ werden Handlungsempfehlungen für die Politik von Teilnehmerinnen und Teilnehmern erarbeitet, deren Herangehensweise unterschiedlicher kaum sein könnte. Mit zweien haben wir uns zum Interview getroffen: Rechtsanwältin Johanna Onischke berät ihre Mandanten im Zusammenspiel medien-, datenschutzrechtlicher sowie ethischer Aspekte. Josef Scheiber ist Gründer und Geschäftsführer von BioVariance. Sein Unternehmen analysiert biomedizinische Daten und bereitet diese auf. Lesen Sie hier den zweiten Teil des Gesprächs über Datennutzung und Datenschutz in der Medizin.
Frau Onischke, Herr Scheiber, heute sind wir von vielen smarten Lösungen umgeben. Hier auf dem Tisch liegt mein Smartphone und zeichnet unser Gespräch auf. Wir leben zunehmend in Smart Homes und arbeiten an smarten Dienstleistungen, bekommen den Strom aus smarten Stromnetzen. Nun geht es beim Tutzinger Diskurs um Gesundheitsdaten, Big Data und Smart Health. Was ist Ihrer Meinung nach die Bedeutung von Smart Health bzw. einer smarten Gesundheit?
Josef Scheiber: Bei Smart Health handelt es sich um die Schlüsse, die man aus den Big Data ziehen kann. Also würde ich den Begriff eher als Frage verstehen: Was können wir für Schlüsse für den Gesundheitsbereich ziehen, die wir aufgrund fehlender bzw. nicht zugänglicher Daten früher nicht hatten. Vor wenigen Jahren war es noch nicht möglich, diese Daten zu analysieren. Doch ein großer Datenhaufen hilft uns nicht weiter, wir müssen selbst wissen, was wir damit machen. Smart wird Big Data letztlich erst durch die Analysen und die Einblicke, die man da für den Einzelnen gewinnt.
Johanna Onischke: Aus meiner Sicht steht Smart Health auch für eine Rollenverschiebung. Wer sich mit Gesundheit beschäftigt, ist nun aufgeklärter, hat mehr Wissen und Einfluss, um selbst aktiv zu werden und selbst zu steuern, wie er wieder gesund werden kann und wie er eine Erkrankung möglichst verhindern kann. Im Diskurs haben wir hier den Begriff „Prosumer” häufig genutzt, man ist also nicht nur ein passives Rädchen im Getriebe, das den Gott in Weiß aufsucht. Man ist viel smarter, man ist viel besser informiert, sei es in der Vorbereitung, im Gespräch beim Arzt oder auch nach dem Besuch in der Praxis.
Scheiber: Man hat schlicht sehr einfach den Zugang zu mehr und relevanten Informationen. Im Rahmen des Tutzinger Diskurses kommt es ja auch darauf an klarzumachen, wo die qualitativ hochwertige Information liegt und was eine Information ist, die keinen Mehrwert bietet.
Die Informationsflut richtig verarbeiten
Onischke: Ein Beispiel dafür: Die Nachricht, dass man vielleicht an Brustkrebs erkrankt, verunsichert. Vor 10 Jahren hätte man diese Information womöglich noch nicht bekommen. Heute stellt sich die Frage, wie man mit dieser Information umgeht.
Scheiber: Die Information, die man heute aus dem Genom bekommt, ist oft eine, die man sowieso aus der Familienvorgeschichte kennt. Die Risikoabschätzung beruhte dann oft auf der Vermutung, dass man selbst erkrankt, weil Mutter und Großmutter schon Brustkrebs hatten. Das kann man mit den neuen Methoden deutlich besser quantifizieren. Doch will man das? Jeder Einzelne muss sich fragen, ob er diese Informationen haben möchte. Für mich persönlich heißt das: Ich will alles wissen, was möglich ist, aber wenn das jemand nicht möchte, ist das absolut nachvollziehbar.
Wenn wir also vom smarten Umgang mit der Gesundheit sprechen, heißt das letztlich, dass der Einzelne ermächtigt wird zu entscheiden.
Scheiber: Wenn er das möchte. Man muss schon ziemlich aufgeklärt sein in der Thematik. Das ist keineswegs trivial.
Onischke: Hier werden definitiv auch Verantwortlichkeiten verschoben. Der Einzelne bekommt hier eine Verantwortlichkeit zugeschrieben, weshalb sich dann die Frage stellt, ob er dieser auch gewachsen ist. Denn es macht einen Unterschied, ob ich die Informationen realistisch einschätzen kann oder aber durch die Informationen aufgescheucht panisch herumlaufe, ohne handeln zu können. Nicht jeder kann das nachvollziehen, sei es aufgrund von mangelndem Zugang zu Medien und Technik oder durch Sprach- und Verständnisprobleme. Akademiker, die auch Spaß an einem solchen Diskurs haben, werden damit weniger ein Problem haben. Viele fallen jedoch von vornherein aus diesem Raster.
Scheiber: Hinzu kommt, dass das individuelle Gesundheitsempfinden unterschiedlich ist. Wer chronisch erkrankt ist, freut sich über einen Status, der für einen anderen eine Hiobsbotschaft ist.
„Das Bild des Arztes als alleinige Autorität bröckelt“
Die Realität sieht mittlerweile so aus, dass wir beim Arztbesuch eine gedruckte Patientenakte zu Gesicht bekommen, die unsere Krankheitsgeschichte beinhaltet. Nach dem Termin aber sehen wir aufs Smartphone und checken unsere Gesundheits-App. Verändert sich hier etwas im Umgang mit medizinischen Daten?
Onischke: Ich glaube es gibt hier eine große Veränderung. Früher waren wir nach dem Arztbesuch oftmals beruhigt oder zufriedengestellt, denn der Fachmann hatte uns gerade einen Plan an die Hand gegeben. Heute, das kann “Prosumer” auch bedeuten, nutzen wir die Informationen im Netz, um erst einmal nachzusehen, was der Arzt uns gerade erläutert hat. Der Arztbesuch wird dann gewissermaßen zum Gesprächsauftakt oder Einstieg in die Thematik. Damit geht natürlich eine Belastung des Einzelnen einher. Auf der Habenseite steht, dass man aufgeklärt mit dem Arzt sprechen kann, weil das Bild des Arztes als alleinige Autorität durch den Zugang zu Informationen zunehmend bröckelt.
Scheiber: Der Umgang mit medizinischen Daten verändert sich definitiv und da wird Big Data schnell Thema. Ein Beispiel: Es gibt 17 Stellen im Genom, bei denen bekannt ist, dass sie sich auf Haarausfall auswirken, sowohl negativ und auch positiv. Ich selbst habe an allen 17 Stellen den Negativ-Faktor, also ein sehr hohes genetisches Risiko, dass mir die Haare ausfallen. Trotzdem habe ich nicht mal den Ansatz einer Glatze. Also sind diese Informationen nicht mit einer Diagnose gleichzusetzen, vielmehr ist das schlicht eine Aussage zu Wahrscheinlichkeiten – und zu meinen individuellen Gesundheitsdaten. Nun kann ich, früher informiert, entsprechende Maßnahmen ergreifen, um gerade nicht in die Patientensituation zu kommen. Wenn man das also will und auch die Zeit dafür investieren will, kann man da als aufgeklärter, gesundheitsbewusster Mensch bessere Messergebnisse erreichen, als es dem Arzt in der kurzen Zeit in der Praxis möglich ist. Studien zeigen: Man kommt durch diese selbstständige Beobachtung zu besseren Messergebnissen, als durch die Stichprobe beim Arzt, wenn wir uns schlecht fühlen. Übrigens: Es gibt Plattformen wie „Patients like me“ in den USA. Dort legt man sich ein Profil an und kann sich anschließend mit Leuten vergleichen, die die gleiche Diagnose bekommen haben.
Onischke: Davon abgesehen gibt es den einen großen Vorteil durch den veränderten Umgang mit eignen Gesundheitsdaten. Wenn ich meine Gesundheitsdaten dem Arzt mitteile, kommt der mit seinen wenigen Behandlungsminuten natürlich weiter, als wenn er jedes Mal wieder bei null anfängt. Wir haben also die Möglichkeit an der eigenen Genesung und an einem Gesundheitsplan aktiv mitzuarbeiten. Ich will nicht sagen, dass das auf Augenhöhe passiert, aber Arzt und Patient kommen so sicher besser ins Gespräch.
Das Gespräch führte Sebastian Schmidt.
Daten schützen? Daten nutzen? Daten vererben? Lesen Sie hier den zweiten Teil des Gesprächs.