„Übertriebener Datenschutz schadet mehr, als er hilft“

19 Feb 2018
„Übertriebener Datenschutz schadet mehr, als er hilft“

Ein Gespräch mit den Diskurs-Teilnehmern Johanna Onischke und Josef Scheiber über Datennutzung in der Medizin

Rechtsanwältin Johanna Onischke berät ihre Mandanten im Zusammenspiel medien-, datenschutzrechtlicher sowie ethischer Aspekte. Josef Scheiber, Gründer und Geschäftsführer von BioVariance, analysiert mit seinem Unternehmen biomedizinische Daten und bereitet diese auf. Beide nehmen am Tutzinger Diskurs „Big Data im Gesundheitswesen“ teil und diskutieren dort über die medizintechnische Datenrevolution. Diese spielt sich nicht nur zwischen Self-Tracking-Apps, der elektronischen Gesundheitskarte und Smart Homes ab, sondern reicht noch viel weiter – ein Gespräch über Krankenkassenbeiträge, Jugendschutz sowie das Recht auf Vergessen und Vererben medizinischer Daten. Teil eins des Gespräches können Sie hier lesen.

Bis heute ist der Arzt durch seine Schweigepflicht in hohem Maße für den Schutz der Patientendaten zuständig. Rückt mit dem neuen Verhältnis von Arzt und Patient letzterer mehr in die Verantwortung. Welche Rolle spielt der Datenschutz denn in der veränderten Situation?

Scheiber: Die individuelle Information, die den Einzelnen identifiziert mit seiner Krankheitsgeschichte, muss natürlich geschützt werden. Doch durch übertriebenen Datenschutz werden aktuell viel mehr Menschen geschädigt, als dass man den Menschen hilft – weil die richtigen Daten nicht zum richtigen Zeitpunkt vorliegen. Was nicht geschützt werden sollte, sind die Daten darüber, wie Medikamente in welchem Kontext individuell wirken. So erhalten wir im Einzelfall eine Bezugsgröße mit der Arzt und Patient den Krankheitsverlauf vergleichen können. Hier können Big-Data-Informationen für den Einzelnen mittelbar lebensrettend sein.

Onischke: Weder ist Big Data, noch ist der Datenschutz gut oder schlecht. Es würde mir niemand einfallen, der nicht daran interessiert wäre, dass wir beispielsweise eine neue Krebsmedikation finden. Wenn das aufgrund einer großen Datenmasse geschehen kann, wüsste ich niemand, der dafür nicht seine Daten hergeben würde. Demgegenüber steht aber die Angst, durch die Weitergabe von Daten selbst Schaden zu erleiden. Typisch ist hier das Szenario: Wenn mein individueller Datenschutz gegen meinen Willen aufgebrochen wird, Gesundheitsdaten weitergegeben werden und ich dann hochgestuft werde mit meinem Beitrag für die Krankenkasse. Es gibt diese Angst, dass hier unwissentlich Daten fließen. Das heißt aber nicht, dass jemand der solche Ängste hat, nicht dazu bereit wäre seine Daten zu spenden, um so die Erforschung neuer Medikamente gegen Krebs zu unterstützen. Ich glaube also, dass wir viel genauer hinsehen müssen, was genau für ein Datenschutz gemeint ist.

„Wer möchte denn nicht, dass schwere Krankheiten therapierbar werden?“

Scheiber: Wir brauchen dringend eine viel stärkere Differenzierung, um zu klären, wo Datenschutz sein muss und wo er nicht sein darf. Diese Diskussion ist enorm wichtig.

Onischke: Ich glaube sogar, dass wir da gar nicht so konträr sind. Weder wir beide als Juristin und als Bioinformatiker noch die Ethiker und Soziologen. Wer möchte denn nicht, dass schwere Krankheiten therapierbar werden?

Scheiber: Deshalb ist die Präzisierung so wichtig. Die Ergebnisse des Tutzinger Diskurses sollen ja auch die Thematik an Jugendliche herantragen und zum Umgang mit Daten in der Medizin aufklären. Hier das Bewusstsein zu schärfen, dass diese Differenzierung wichtig ist und dass es eben nicht diesen Holzhammer Datenschutz gibt, ist ein wichtiger Teil davon. Wenn klar wird, dass jeder von uns überlegen sollte, was er individuell schützen muss und wo es mehr bringt, die Daten in einen Pool zu geben, sind wir einen großen Schritt weitergekommen.

Johanna Onischke
Josef Scheiber

Was für Möglichkeiten gibt es, um das Bewusstsein der Jugendlichen für medizinische Daten zu schärfen?

Onischke: Digital Natives sind noch sorgloser und sehen weniger Risiken als wir, weil sie das Handy fast schon als Körperteil integriert haben, vor dem man wenige Geheimnisse hat. Wir brauchen hier dringend eine Sensibilisierung. Wer kann Missbrauch betreiben? Mache ich mich von einem Anbieter abhängig, wenn ich meine Daten da angebe? Welche sinnvollen Möglichkeiten gibt es, seine Daten einzuspeisen? Das sind Fragen, die jeder sich stellen sollte und ich denke, das sollte man auch Jugendlichen vermitteln. Es gibt Datenverwender, die Daten aus wirtschaftlichen Gründen nutzen und Jugendlichen damit das Geld aus der Tasche ziehen, es gibt aber auch Anbieter, die das Thema aus Gründen der öffentlichen Gesundheit vorantreiben.

Scheiber: Um zu zeigen, wie mit Daten umgegangen wird, ist es beeindruckend, bei Facebook die Offenlegung aller gesammelten Profildaten anzufordern. Das wirkt sicher gerade für Jugendliche sehr Augen öffnend. Facebook weiß, wann man was gesehen hat, jeder Klick ist dokumentiert – bei mir waren es fünf DVDs mit Daten.

Warum Uromas Krankheiten heute interessant sein können

Sollte es also ein Recht auf das Vergessen medizinischer Daten geben? Sollte das Recht auf Zugang zu medizinischen Daten vererbt werden können?

Scheiber: Wenn Symptome auftreten, ist es für eine Familienanamnese natürlich unglaublich spannend, auf die digitalen Gesundheitsdaten der Urgroßmutter zurückzugreifen. So kann man viel früher präventiv tätig werden. Zumindest innerhalb der Familie gibt es eine Reihe Gründe für eine sinnvolle Nutzung dieser Daten – und somit sollte es kein Recht auf Vergessen geben. In meiner Familie haben wir neben mir auch zu meinen Geschwistern, Eltern sowie Großmutter genetische Daten erheben lassen. Alles harmlos, aber es war schon interessant, wie viel man daraus lernen kann, wenn man nur die Gendaten dreier Generationen betrachtet.

Das lässt sich ja auch in einem Testament entsprechend regeln, beispielsweise mit einem begrenzten Nutzungsrecht für die Familie, oder?

Onischke: Möglich ist das. Auch hier bedarf es natürlich einer gewissen Aufgeklärtheit. Zu der Frage beispielsweise, wem ein Datum gehört, gibt es aktuell noch keine eindeutige gesetzliche Regelung – weder in Deutschland noch in Europa. Eine interessante erste Rechtsprechung vom Kammergericht Berlin gibt es allerdings. Da hatte sich ein Mädchen selbst umgebracht, die Eltern wollten daraufhin Zugriff auf das Facebook-Profil der Tochter und das Gericht hat genau das untersagt. Der wichtigste Grund war, dass der Profilinhalt unter das Fernmeldegeheimnis fällt. Aus Sicht der Eltern wurde dann mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Eltern argumentiert, inhaltlich also dem Recht darauf, mehr über die Hintergründe der Tat zu erfahren. Der Einwand wurde jedoch abgelehnt, weil das Wissen darum nicht konstitutiv für das Leben der Eltern ist. Es wird hier also bislang mit bekannten Regelungen aus anderen Rechtsbereichen argumentiert. Aber es gibt noch keine Regelung über das „Eigentum“ an Daten.

Scheiber: Wenn man da eine gesetzliche Erbfolge hätte, dann hätten die Eltern in diesem Fall ja automatisch Zugang zu den Daten. Würden die Daten als geistiges Eigentum behandelt, dann könnte ich mich auch mit solchen Regelungen anfreunden, dass ähnlich dem Copyright nach 70 Jahren die Daten zu Public Domain werden. Das wäre doch eine recht klare Ansage.

Onischke: Das wäre eine elegante Lösung und ließe sich auch relativ einfach in unser Rechtssystem einfügen. Auf der anderen Seite sind 70 Jahre extrem lang für den Bereich Gesundheit. Da müsste man den Zeitraum entsprechend anpassen.

Das Gespräch führte Sebastian Schmidt.

Teil 1 des Gesprächs über den Umgang mit (eigenen) Gesundheitsdaten und das Verhältnis Arzt-Patient

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