Big Data

BDiD – Big Data im Diskurs (2017-2019)

Big Data umfasst schon jetzt nahezu alle Lebensbereiche – so auch das Gesundheitswesen. Von Self-Tracking-Apps über die elektronische Gesundheitskarte bis hin zu Smart Homes entfaltet sich eine Entwicklung, die Chancen wie Risiken birgt.

Die Vorteile dieser Entwicklung liegen auf der Hand: Medizinisch relevante Daten können minimal-invasiv und eigenständig erhoben und dann gegebenenfalls mit Ärzten geteilt werden. Jeder einzelne Mensch wird in die Lage versetzt, die Gesundheit des eigenen Körpers selbst zu überwachen – Eigenverantwortlichkeit und Gesundheitsbewusstsein würden gestärkt und Krankheiten könnten eventuell früher erkannt werden. In der Breite könnten enorme Vorteile für die medizinische Forschung entstehen, weil kostengünstig und weltweit Daten erhoben, ausgewertet und verglichen werden können. Insbesondere bei der Erforschung sehr seltener Krankheiten könnte die Medizin profitieren. Und nicht zuletzt entsteht hier ein neuer Wachstumsmarkt, der gesamtwirtschaftlich von großem Nutzen ist. So ergibt sich eine Fülle von Angeboten, mit der die Grenze zwischen Patienten und Nutzern aufgelöst wird und durch die jeder in die Lage versetzt werden kann, den eigenen Körper selbst zu überwachen.

Datenschutz, Manipulation und Sanktionsmöglichkeiten?

Doch was ist mit Datenschutz, Manipulation und Sanktionsmöglichkeiten? Entstehen durch die zunehmende Selbstvermessung der Menschen neue Erwartungen an die Einzelnen, zum Beispiel ihre körperliche Gesundheit in Eigenverantwortung zu managen und freizügig Daten, etwa an die Versicherer, bereitzustellen? Wie ändert sich beispielsweise das Arzt-Patienten-Verhältnis, wenn die Grenze zwischen Patienten und Nutzern zunehmend aufgelöst wird? Entstehen neue Abhängigkeiten, bei denen die Datenauswertung und -interpretation vorrangig in die Hände einer künstlichen Intelligenz gelegt werden, dieser Prozess aber nur von wenigen IT-Fachleuten durchschaut werden kann? Und führt die Entwicklung zu einem Automatismus, bei dem es nur noch um die Vermehrung von Daten und die  Verbesserung der Algorithmen geht, kritische Reflexion und soziale Kontrolle aber ausbleibt?

Ethische Reflexion

Die Notwendigkeit einer ethischen Reflexion dieser Entwicklung resultiert auch aus der Tatsache, dass sowohl bei den fortschrittsoptimistischen als auch den kritischen Einschätzungen ähnliche ethische Leitprinzipien zugrunde gelegt, aber uneinheitlich verwendet werden. So bedeutet für die einen die angesprochene Entwicklung einen Zugewinn an Autonomie und individueller Selbstbestimmung, für die anderen steht sie hingegen für die Auflösung des Autonomieprinzips. Denn auf der einen Seite ist der Einzelne eigenständiger Verwalter seines Wohlbefindens, weniger abhängig von Ärzten und Versicherungen und Profiteur einer passgenaueren Behandlung, auf der anderen Seite ist er einem technischen Rationalismus unterworfen, der ihn zu neuen Anpassungen zwingt. Auch das Prinzip der Privatheit kann in diesem Kontext entweder in positivem Sinne als potentiell gestärkt oder negativ als in Gefahr betrachtet werden. So mag die Entwicklung bedeuten, dass jeder über seine eigenen Daten verfügen kann, aber auch, dass durch Big und Smart Data, auch wenn Anonymität gewährleistet sein soll, neue Rückschlüsse auf die Person möglich werden. Das in der Medizinethik etablierte Konzept der informierten Zustimmung greift nicht mehr, wenn im Moment einer Zustimmung nicht mehr absehbar ist, für welche Anwendungen und Rückschlüsse möglicherweise freigegebene Daten genutzt werden. Auch die Konzepte Bildung und Bewusstseinsbildung erfahren in diesem Zusammenhang unterschiedliche Deutungen. Und nicht zuletzt sind die zentralen Begriffe GesundheitWohlbefinden und Krankheit in dieser Diskussion meist nicht ausreichend reflektiert.

Ergebnisse des Diskurses

Die gesellschaftliche Relevanz des Diskursprojekts an der Akademie für Politische Bildung bestand darin, eine akute gesellschaftliche Entwicklung differenziert zu erörtern und davon ausgehend diese Kenntnisse für die Stärkung der Diskursfähigkeit und Informationskompetenz junger Menschen einsetzen zu können, damit sie diese Entwicklung informiert, rational und mündig mitgestalten können. Da das Projekt nicht nur zentral die Vermittlung von informatorischer Bildung an junge Menschen in den Blick nimmt, sondern auch deren methodische Durchdringung erzielt, versteht es sich als nachhaltigen Beitrag zur Debatte um Big Data im Gesundheitsbereich.

Ausgehend von der Tatsache, dass zwar von verschiedener Seite eine Kompetenzförderung eingefordert, aber nicht wirklich geklärt wird, was „Kompetenz” im Kontext von Big Data im Gesundheitswesen heißen kann, verfasste die Diskursgruppe eine kleine Stellungnahme, in der verschiedene Schlaglichter auf das Desiderat „Kompetenz” geworfen werden. Das Papier „Kompetenter Umgang mit digitalen Gesundheitsanwendungen am Beispiel von Selftracking-Apps und Big-Data-Anwendungen” kann hier kostenlos heruntergeladen werden.

In einem nächsten Schritt ging es um die Frage, wie eine Kompetenzförderung konkret umgesetzt werden kann. Das Ergebnis sind innovative, gemeinsam mit Lehrkräften und Fachdidaktikern entwickelte Lehrmaterialien für den Schulunterricht, die flexibel in den Jahrgangsstufen 10 bis 13 eingesetzt werden können, etwa im Ethik- oder Sozialkundeunterricht. Ganz wie im Tutzinger Diskurs selbst wird das Thema „Big Data im Gesundheitswesen” aus vielen verschiedenen Perspektiven beleuchtet, so dass die Schülerinnen und Schüler ein Verständnis für die vielen Dimensionen des Themas entwickeln, zu einem eigenen differenzierten Urteil kommen können und für den Umgang mit den eigenen Daten sensibilisiert werden. Die Lehrmaterialien stehen hier kostenlos zum Download zur Verfügung.

Der Diskurs geht weiter: Gesünder mit Big Data?! Freiheit und Verantwortung beim Umgang mit Big Data im Bereich Gesundheit – initiiert und getragen durch vier Mitglieder der Diskursgruppe.

Der Diskurs wurde aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gefördert.

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