„Datenschutz ist kaum verhandelbar, wenn es ums Überleben geht“

09 Sep 2019
„Datenschutz ist kaum verhandelbar, wenn es ums Überleben geht“
Child Growth Monitor, © Welthungerhilfe 2018

Von Valentine Auer

 

Big Data und Künstliche Intelligenz (KI) beeinflussen das Zusammenleben in unterschiedlichsten Bereichen. Auch wenn es um die Umsetzung der von der UN Generalversammlung definierten Ziele für nachhaltige Entwicklung geht, werden Innovationen durch Big Data immer wichtiger. Und das zeigt sich wiederum auch im Gesundheitsbereich.

„Ein gesundes Leben für alle Menschen jeden Alters gewährleisten und ihr Wohlergehen fördern“, so lautet eines der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDG, engl. Sustainable Development Goals), die 2015 von der Generalversammlung der Vereinten Nation verabschiedet wurden. Als von den Vereinten Nationen gegründete Initiative verpflichtete sich „Global Pulse“ diesen Zielen. Nachhaltige Entwicklung und humanitäres Handeln sollen durch die Arbeit dieser Initiative vorangetrieben werden. Der Unterschied zu anderen NGOs, die dieses Ziel in ihrer Arbeit verfolgen, ist die Methode: Mithilfe von Big Data und der Entwicklung von Algorithmen und KI sollen die SDGs in den Blick genommen werden, so auch die Gesundheit und das Wohlergehen der Weltbevölkerung.

Jakarta. Kampala. New York. In diesen drei Städten gibt es bis dato sogenannte Pulse Labs. „Unsere Vision ist eine Zukunft, in der Big Data sicher und verantwortungsvoll als öffentliches Gut nutzbar gemacht wird“, heißt es vonseiten der Initiative. Und zwar weltweit. Die Daten sollen dabei ein besseres Verständnis von gesellschaftlichen Veränderungen ermöglichen. Wie gut politische Reaktionen auf eben diese Veränderungen funktionieren, kann durch Big Data und KI in Echtzeit analysiert werden.

Verbreitung von Epidemien voraussagen

Zum Beispiel in Uganda: In Kooperation mit dem dortigen Gesundheitsministerium und der WHO wird an einem Instrument gearbeitet, dass die Verbreitung von Epidemien genauer vorhersagen soll. Der Prozess: Gesundheitseinrichtungen liefern wöchentlich Daten zu Krankheiten wie Malaria und Typhus an das Ministerium. Etwas, das schon seit Jahren passiert. Nun werden diese Daten aber zusätzlich vom Pulse Lab Kampala korrigiert, ergänzt und mit anderen Datenquellen kombiniert. Mithilfe der Visualisierung können Muster der Verbreitung und Risikofaktoren erkannt werden.

„Aufgrund der Komplexität dieser Daten sind die bis dato genutzten Visualisierungen und tabellarischen Methoden der Darstellung sehr limitiert, um einen Einblick in die Entwicklung einer Epidemie zu erhalten und dabei gleichzeitige beeinflussende Risikofaktoren im Blick zu behalten“, so das Pulse Lab Kampala. Das vom Lab entwickelte Tool ermöglicht es, die Infektionsrate mit Risikofaktoren wie Mobilität, Bevölkerungsdichte oder Regenfällen und natürlicher Entwässerung einer bestimmten Region zusammenzubringen. Die Ergebnisse sollen sowohl Menschen aus dem Gesundheitsbereich, die vor Ort sind, als auch politischen Entscheidungsträger*innen beim Einsatz von Gesundheitsteams, der Zuweisung von medizinischem Bedarfsmaterial, aber auch der Bereitstellung von passenden Schulungen in Gesundheitszentren helfen.

Soziale Medien als Datenpool

Das ist allerdings nur eines von sieben Global Pulse Projekten, die sich dem Gesundheitswesen widmen. Die thematische Bandbreite dieser Projekte ist groß, eine zentrale Rolle spielen oftmals soziale, aber auch andere Medien. Die Mustererkennung von Aussagen in (sozialen) Medien soll Einblicke in verschiedene gesundheitsrelevante Themen geben: in die öffentliche Wahrnehmung von Sanitätsversorgungen, in die Haltung zu und die Awareness gegenüber Immunisierungsprogrammen oder auch in die Einstellung zu Verhütung und Teenager-Schwangerschaften. Die Ergebnisse helfen dabei, jeweilige Lücken und Handlungsbedarfe zu erkennen und sie dementsprechend zu schließen. Sei es in Bezug auf Immunisierung- Bewusstseinskampagnen, auf den Ausbau der sanitären Versorgung oder auf den Zugang zu Verhütungsmitteln.

App zur Ermittlung von Unterernährung

Und auch in Deutschland verwenden NGOs und andere Organisationen zunehmend Big Data und KI, um Lebensbedingungen von Menschen weltweit zu verbessern. Zum Beispiel die Welthungerhilfe, die sich einem weiteren Nachhaltigkeitsziel der Vereinten Nationen verpflichtet: eine Welt ohne Hunger bis 2030. Das bedeutet, dass etwa 800 Millionen unterernährte Menschen sicheren Zugang zu Nahrungsmitteln benötigen. Um das zu erreichen, müssen die derzeitigen Bemühungen verdreifacht werden. Und genau dafür brauche es innovative Ideen.

Eine dieser Innovationen ist die App „Child Growth Monitor“. „Die exakte Vermessung von Unterernährung stellt ein großes Problem dar. Die heutigen Messmethoden sind ungenau, teuer und langsam. Das führt dazu, dass viele unterernährte Kinder gar nicht oder viel zu spät behandelt werden – und dadurch lebenslange körperliche oder geistige Schäden entstehen“, erklärt Projektleiter des „Child Growth Monitor“ Markus Pohl. Die App soll künftig wertvolle Zeit bei der Datenerhebung sparen. Mithilfe eines 3D-Scans werden Größe und Gewicht der Kinder erfasst, die App stellt fest, ob das Kind unterernährt ist.

Derzeit befindet sich der Child Growth Monitor noch in der Entwicklungsphase. Einen Prototyp, der in Indien getestet wird, gibt es bereits, 2020 soll das Tool zur Diagnose von Unter- und Mangelernährung fertiggestellt und weltweit skaliert werden. Die weltweite Skalierung hilft dabei, Unterernährung bei Kindern nicht nur – so wie es derzeit der Fall ist – punktuell und damit viel zu wenig festzustellen.

(K)Ein Blick auf den Datenschutz

Vor allem seit vier Jahren beobachtet Markus Pohl, dass die Chancen der Digitalisierung, speziell von Big Data und KI, zunehmend in der Entwicklungszusammenarbeit genutzt werden – auch wenn diese anderen Branchen hinterherhinkt, die Potentiale werden langsam erkannt. Gleichzeitig weist er darauf hin, dass Datenschutzdebatten gerade in dieser Branche oftmals nicht geführt werden: „Die Potentiale für AI und Big Data sind riesig, werden aber auch zu Veränderungen führen. Zum Beispiel entstehen neue Bezahlmodelle, bei denen das Service kostenlos ist, die User aber mit ihren Daten bezahlen. In Ländern mit wenig Bewusstsein für Datenschutz, kann dies schnell zu einer Schieflage führen. Anders gesagt: Datenschutz ist kaum noch verhandelbar, wenn es ums Überleben geht.“

Global Pulse ist sich der Herausforderung bewusst, ihre Arbeit mit einem fairen und sicheren Datenschutz, zu vereinbaren. Daher wurde eine eigene Arbeitsgruppe zum Thema Datenschutz mit Expert*innen aus dem öffentlichen und privaten Sektor, aus der Wissenschaft und der Zivilgesellschaft, eingerichtet. Diese war unter anderem in der Entwicklung einer Leitlinie zum Umgang mit Daten beteiligt, die 2017 von der UN Development Group (UNDG) verabschiedet wurde. Zudem wurde eine Checkliste entwickelt, die poteztielle ethische Probleme bei der Verwendung von Big Data identifiziert und sicherstellt, dass der erwartete Nutzen jedes einzelnen Projektes überwiegt und nicht die Risiken etwaiger Schäden. Zentral dabei: Der Schutz des Individuums und dessen Rechte. Schließlich brauche es auch den Blick auf den Datenschutz, um sicherzustellen, dass – entlang der Agenda der SDGs – Chancengleichheit zwischen den Individuen langfristig gegeben ist.

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