Von Valentine Auer
Wohl kaum jemand würde bestreiten, dass digitale Medien heute zum Alltag von Kindern und Jugendlichen gehören. Digitale Kompetenz muss daher schon im jungen Alter gefördert werden. Weniger im Blick scheint jedoch die digitale Gesundheitskompetenz von Kindern und Jugendlichen zu sein. Dabei drängen immer mehr Gesundheitsapps, die sich an Heranwachsende richten, auf den Markt. Dadurch können Gesundheitsinformationen zielgruppengerecht aufbereitet werden. Gleichzeitig sind viele dieser Apps weder evidenzbasiert noch von einem nachvollziehbaren Datenschutz begleitet. Ein Gespräch mit Dr.in Claudia Lampert, die sich am Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut (HBI) mit Fragen des Aufwachsens in digitalisierten Medienumgebungen sowie mit dem Themenfeld der Gesundheitskommunikation beschäftigt.
Es gibt Zahlen zur Mediennutzung, die darauf hinweisen, dass Jugendliche ihr Smartphone vor allem für WhatsApp, für Social-Media-Kanäle oder für YouTube verwenden. Wie wichtig ist das Smartphone für Kinder und Jugendliche überhaupt, wenn es um die Gesundheit geht?
Das spielt auf jeden Fall eine Rolle: Für Kinder und Jugendliche ist das Smartphone der Hauptzugang und die einfachste Möglichkeit, um schnell an Informationen zu kommen. Gesundheitsinformationen sind auch für Kinder und Jugendliche interessant – zum Beispiel für Jugendliche, die sich mit psychischen und physischen Veränderungen in der Pubertät auseinandersetzen. Da kommen Fragen zu Symptomen auf, aber auch zu Krankheiten, die sie selbst, Freunde oder Verwandte betreffen. Kinder und Jugendliche recherchieren also Gesundheitsinformationen, sie nutzen aber auch Gesundheitsangebote, die dazu gedacht sind, die eigene Gesundheit zu fördern und zu optimieren.
Welche Möglichkeiten und Potenziale ergeben sich durch die Entwicklung gesundheitsbezogener Apps für Kinder und Jugendliche?
Zum Beispiel durch die Anpassungsmöglichkeiten der Voreinstellungen. Dadurch können Gesundheitsinformationen individuell auf die eigene Person zugespitzt werden. Gesundheitsinformationen können unterschiedlich dargestellt werden, als Text, als Bild oder spielerisch. Ansätze von Gamification machen ein Angebot nicht nur unterhaltsamer, sondern tragen auch dazu bei, dass man sich länger mit der App auseinandersetzen will. Kinder und Jugendliche werden durch diese spielerischen Anwendungsmöglichkeiten und Formen der Wissensvermittlung viel leichter erreicht. Aber: Man muss sich die Frage stellen, welche Art von Gesundheitsapps überhaupt gesucht werden und welche Informationsbedürfnisse Kinder und Jugendliche haben. Eine App ist nicht für alle Themen das geeignete Medium. Präventionsthemen haben es sicherlich schwerer als der Bereich Gesundheitsförderung und Well-Being. Eine Präventionsapp kann gut funktionieren, wenn jemand in einem Präventionskontext eingebunden ist und die App unterstützend eingesetzt wird. Unwahrscheinlicher ist es, dass Jugendliche nach einer App suchen, die ihnen präventiv sagt, dass sie gesundheitswidriges Verhalten vermeiden sollen.
Sie haben bereits eine Grenze dieser Apps angesprochen. Ein weiteres Problem: Ich habe von verschiedenen Expert*innen in Bezug auf Gesundheitsapps allgemein immer wieder die Aussage gehört, dass es kaum evidenzbasierte Apps gibt. Wie sieht das bei Gesundheitsapps aus, die speziell für Kinder und Jugendliche konzipiert sind?
Bei Apps für Kinder und Jugendliche ist es ähnlich. Aus der App-Beschreibung geht meist nicht hervor, ob die Inhalte evidenzbasiert sind oder nicht. Für Normalnutzer ist es insofern schwierig, die Qualität der Gesundheitsinformationen und die empirische Grundlage einer App einschätzen zu können. Die Qualität ist jedoch oftmals für die Nutzer nicht das entscheidende Kriterium für die Wahl bzw. die Nutzung einer App, sondern vielmehr das Versprechen der App: zum Beispiel Muskeln innerhalb von dreißig Tagen aufzubauen oder in einem kurzen Zeitraum besonders schlank zu werden. Natürlich gibt es auch Apps, die zum Beispiel in Kooperation mit einer Krankenkasse oder dem Gesundheitsministerium entstanden sind. Da kann man vertrauen, dass die Informationen seriös sind. Bei Jugendlichen kommt so eine Kooperation allerdings nicht so toll an, wenn das Gefühl aufkommt, dass ein Angebot hauptsächlich „pädagogisch wertvoll“, dafür aber weniger unterhaltsam ist. Also ja, es gibt evidenzbasierte Angebote, aber die Suche danach gleicht der Suche nach der Nadel im Heuhaufen, und über die Nutzung solcher Angebote durch Jugendliche wissen wir bislang so gut wie nichts.
Und wie sieht es mit dem Datenschutz aus? Auch das ist ein Punkt, der in Bezug auf verschiedenste Apps immer wieder kritisiert wird. Ist der Datenschutz auch im Kinder- und Jugendbereich intransparent?
Ja. Genau das! Es ist undurchsichtig und intransparent. Man findet zwar manchmal Verweise auf Datenschutzerklärungen. Aber viele Jugendliche werden sich – wie viele Erwachsene auch – diese Hinweise kaum durchlesen. Zumal die Datenschutzhinweise in der Regel auch völlig unverständlich für Kinder und Jugendliche formuliert sind. Da bedarf es einer größeren Sorgfalt, damit Kindern und Jugendlichen deutlich wird, was für Daten sie preisgeben, was mit diesen passiert und warum das für die eigene Gesundheit relevant ist. Es reicht nicht, dass nur ein Link zu einer Datenschutzerklärung zu finden ist. Es benötigt eine ganz andere Aufbereitung. Zum einen bräuchte es eine allgemeine Sensibilisierung für dieses Thema – sowohl bei Kindern, aber auch bei Eltern – um zu verdeutlichen, auf welche Daten eine App zugreift und welche langfristigen Folgen damit verbunden sein können. Zum anderen bräuchte es für Kinder und Jugendliche verständliche Informationen zum Thema Datenschutz und ihren Rechten. Das Thema Datenschutz ist für alle Apps relevant, aber in Bezug auf Gesundheitsapps, die sich mit sensiblen Themen befassen, bedarf es besonderer Aufmerksamkeit und Transparenz.
Sie kritisieren auch, dass das Angebot der Gesundheitsapps derzeit sehr unübersichtlich ist. Sie plädieren daher für die Weiterentwicklung von Qualitätsstandards und Orientierungsangebote. Wie sollten diese konkret aussehen, damit sie nicht nur von Erwachsenen, sondern auch von Jugendlichen wahrgenommen werden?
Man könnte zum Beispiel direkt in den App-Stores ansetzen und mehr Transparenz herstellen, damit Kinder und Jugendliche eine bessere, informierte Auswahl treffen können. Das Problem ist jedoch, dass Jugendliche und Kinder selten Informationen dazu bekommen, was eine gute bzw. seriöse Gesundheitsapp eigentlich ausmacht. Sicherlich gehen die Meinungen von Jugendlichen und Erwachsenen da oftmals auseinander. Trotzdem fände ich eine Art App-Test oder Rezension durch Jugendliche und nach bestimmten Kriterien sinnvoll. Im Computerspiel-Bereich hat sich die Beteiligung von Heranwachsenden bei der Beurteilung sehr bewährt. Ähnlich könnte ich mir das auch für Gesundheitsapps vorstellen.
Aufgrund der Unübersichtlichkeit und immer stärkeren Zunahme von Gesundheitsapps benötigt es Ihrer Meinung nach auch eine digitale Gesundheitskompetenz. Was bedeutet das konkret? Und wie könnte eine Umsetzung aussehen?
Digitale Gesundheitskompetenz bedeutet für mich, zwei Ebenen in den Blick zu nehmen: Auf der einen Seite, dass Kinder und Jugendliche einen kompetenten Umgang mit digitalen Medien lernen. Das betrifft den ganzen Bereich der Online-Nutzung – auch in Bezug auf Datenschutz und Datenpreisgabe. Auf der anderen Seite bezieht sich Gesundheitskompetenz darauf, dass Kinder und Jugendliche digitale Gesundheitsinformationen auswählen, bewerten und verstehen können. Das betrifft die Fragen: Wie kommen Gesundheitsinformationen zustande? Was für Informationen werden in welcher Form dargeboten? Welche Auswirkungen hat eine Gesundheitsinformation oder auch die Nutzung von gesundheitsbezogenen Onlineangeboten oder Apps auf das eigene Gesundheitsverhalten? Auf welchen Daten basieren Empfehlungen und wie zuverlässig sind diese? Sie sollten in der Lage sein zu verstehen, dass es völlig absurd ist, wenn eine App verspricht, in 30 Tagen wie ein Bodybuilder auszusehen. Es geht also darum, dass Jugendliche nicht alles ungefiltert aufsaugen, sondern Informationen einordnen und die Bedeutung von digitalen Medien und gesundheitsbezogenen Informationen für ihre eigene Gesundheit reflektieren können.
Für mich stellt sich bei dieser Forderung die Frage, wer das machen soll. Schulen? Lehrer*innen? Externe Anlaufstellen?
Das ist eine gute Frage, die schwierig zu beantworten ist. Schulen würden sicherlich sagen, dass sie das nicht auch noch machen können. Ich würde mir wünschen, dass die Stellen, die sich mit gesundheitlicher Aufklärung beschäftigen, dieses Themenfeld in den Blick nehmen. Das wäre in Deutschland zum Beispiel die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, aber auch Krankenkassen. Es gibt aber auch schon einige Ansätze zur Förderung digitaler Kompetenz – nicht umfassend und flächendeckend, aber da wäre das Gesundheitsthema anschlussfähig. Insofern wäre bereits eine Schnittstelle gegeben und die Berücksichtigung digitaler Angebote mit Gesundheitsbezug – wie eben Gesundheitsapps – naheliegend. Mit Heranwachsenden zu diskutieren, warum und mit welchen Erwartungen sie bestimmte Apps herunterladen, sind spannende Themen für pädagogische Settings. Da könnte und sollte auf jeden Fall mehr gemacht werden.
ZUR PERSON: Dr.in Claudia Lampert ist wissenschaftliche Referentin am Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut (HBI) in Hamburg. Im Rahmen verschiedener Projekte beschäftigt sie sich mit den Chancen und Risiken digitaler Medien für Kinder und Jugendliche, aber auch mit der Frage, welche Potenziale digitale Medien wie z.B. Serious Games und Apps für die Gesundheitsförderung von Kindern und Jugendlichen bieten. Copyright: D. Ausserhofer (HBI)