„In Würde ankommen und leben dürfen“

25 Sep 2018
„In Würde ankommen und leben dürfen“
Ulrike Beckrath-Wilking, Copyright: Benjamin Storck

Von Valentine Auer und Benjamin Storck

Dr. med. Ulrike Beckrath-Wilking ist Nervenärztin, unter anderem Traumatherapeutin und Mitbegründerin des Trauma-Instituts Süddeutschland und dort auch Dozentin in dem Ausbildungscurriculum Traumafachberatung und Traumapädagogik. Sie hat die Entwicklung des Manuals zur Trauma-Ersthilfe als externe Expertin begleitet. Im Interview sprich­t sie darüber, wieso das Projekt als Good Practice-Beispiel eingeordnet werden kann und welche Rahmenbedingungen notwendig sind, um traumatisierten Geflüchteten Sicherheit in Deutschland zu geben.

Wieso denken Sie, dass das Projekt Trauma-Ersthilfe-Ausbildung für Geflüchtete ein Good Practice-Beispiel ist?

Es ist eine wichtige Idee, dass Ersthelfer, die Laien sind, traumatisierten Menschen helfen, sich wieder zu stabilisieren und sich in ihrer Not wahrgenommen zu fühlen. Geflüchtete Ersthelfer erwerben das Wissen darüber, was Traumatisierung überhaupt ist, welche Folgen sie haben kann und können praxisnah lernen, wirkungsvoll einzugreifen. Sehr wesentlich erscheint mir, dass dies auf Augenhöhe geschieht, dass Menschen, die auch geflüchtet sind, die auch etwas Schlimmes erlebt haben, in ihrer Muttersprache anderen helfen und sich dabei zugleich selbst wieder in ihren Stärken als wirksam erleben können. Das ist ein kostbarer Gewinn für beide Seiten.

Die Methoden des Projektes fokussieren auf den Körper. Welche Rolle spielt der Körper bei Traumata?

Traumatisierung basiert ganz wesentlich auf dem Körper, auf dem, was mit unserem Nervensystem passiert. Dinge können nicht verarbeitet und abgespeichert werden. Stattdessen können sich archaische neurophysiologische Notfallprogramme des Gehirns festsetzen oder verselbstständigen, zum Beispiel im Sinne einer immer wieder auftretenden Erstarrung. Traumatisierte Menschen sind dadurch Situationen hilflos ausgesetzt. Sie können nicht schlafen oder nicht lernen, weil sie sich nicht konzentrieren können. Oder sie schalten total ab, weil das Geschehene sie unkontrollierbar überflutet. Diese Dissoziation ist ein gnädiger Mechanismus unseres Nervensystems, dass wir abschalten und innerlich weggehen können und das, was eigentlich nicht auszuhalten ist oder war, nicht mehr erleben müssen. Eine andere mögliche Traumafolge ist das Vermeiden: nicht hinschauen, nicht an das Geschehene denken, nicht daran erinnert werden. Häufig erleben die Menschen durch vielfältige Trigger-Reize ausgelöst das Geschehene innerlich immer wieder. Durch solche dissoziativen Flashbacks kann der Körper erstarren, Bilder kommen hoch, man spürt sich nicht mehr. Das heißt, es ist sehr einleuchtend, am Körper – mit selbstregulatorischen Körperübungen – anzusetzen.

Welchen Einfluss hat die Situation in Deutschland, also das Warten auf eine Entscheidung über den Aufenthaltsstatus oder die Rekonstruktion des Geschehenen im Rahmen des Asylverfahrens, auf das Trauma und die Entwicklung einer Posttraumatischen Belastungsstörung?

Es ist ja eigentlich etwas Gesundes, aus einer Situation, die traumatisierend ist, flüchten zu können. Wären die Menschen danach in Sicherheit, wären die Folgefaktoren wahrscheinlich nicht so schlimm oder könnten rascher wieder abklingen. Aber die Menschen erleben auch auf der Flucht schreckliche Dinge. Dann kommen sie in Deutschland an und können sich immer noch nicht sicher fühlen. Du kennst die Sprache nicht, hast andauernd diesen Stress in einem Asylverfahren zu sein und weißt nicht, ob du überhaupt bleiben darfst. Niemand von uns könnte das leicht verkraften. Es ist wie eine dauernde Aufrechterhaltung des Stresses, das Nervensystem bleibt im überaktivierten Alarmzustand. Sehr wichtig zum Wiedergewinnen innerer Sicherheit wäre auch sozialer Anschluss, zum Beispiel indem man arbeiten darf oder auch einen Wohnraum hat, wo man sich sicher fühlt, also nicht in Gemeinschaftsunterkünften leben zu müssen. Das dauernde Warten, ohne zu wissen, wie es weitergeht, ist Stress. Man kann die Zukunft nicht planen, die eigenen Ressourcen nicht einbringen. Damit eine innere Sicherheit überhaupt wieder entstehen kann, braucht es auch die äußere Sicherheit, die so nicht gegeben ist.

Welche Forderungen haben Sie an die Politik, um diese Situation zu verbessern?

Es wäre wichtig, dass die Aufenthaltsverfahren kürzer, klarer und verständlicher für die Menschen wären. Es sollte nicht auf Abschottung gesetzt werden, denn das fördert die Ängste der Menschen. Es ist eine klare Verantwortung der Politik, ob Ausgrenzung, Abschottung und Ängste gefördert werden, oder ob wir ein Miteinander fördern wollen, das betont, dass wir alle verletzliche Wesen sind, die unter traumatischen Bedingungen genauso reagieren würden und mitmenschliche Unterstützung brauchen.

Wie beurteilen Sie die Versorgung von Geflüchteten hinsichtlich der psychischen Gesundheit in Deutschland?

Obwohl viele Traumatherapeuten ausgebildet werden, besteht ein deutlicher Mangel in der Versorgung traumatisierter Geflüchteter, zumal viele vor der Wucht der Traumata zurückschrecken. Niemand kann sich das dauernd zumuten. Es bräuchte daher noch mehr Traumatherapeuten, die die Traumafolgen und Symptome so vieler Menschen tatsächlich behandeln können. Schon vor einer Therapie, und das ist viel wichtiger, geht es darum, dass die traumatisierten Geflüchteten lernen, sich selbst zu regulieren und sich damit ein Stück weit in innere Sicherheit zu bringen. Die Aufgabe einer basalen Stabilisierung können nicht nur Therapeuten, sondern weitgehend auch ausgebildete Laien übernehmen.

Welche Folgen hat eine fehlende psychische Versorgung?

Wenn das Erlebte einfach nur unverarbeitet im Nervensystem stecken bleibt und es keine Beruhigung gibt, keine Möglichkeit zu regulieren, bleiben die Menschen übererregbar und leiden an vielfältigen Traumafolgen. Auch in Deutschland haben wir das nach dem Zweiten Weltkrieg erlebt. Es gab sehr viel Leid und Traumatisierung zu einer Zeit, in der es noch kein Wissen über Traumafolgen gab und auch keine Möglichkeit einzugreifen. Daher wurde die Flucht nach vorn ergriffen zum Beispiel in den Wiederaufbau, um alles hinter sich zu lassen und zu vergessen. Das Erlebte ist aber immer noch unverarbeitet da und noch heute werden alte Menschen zum Teil wieder getriggert durch die Fluchtgeschichten der Migranten, die sie in Medien sehen und hören. Wir wissen heute, dass die unverarbeiteten Traumata der Eltern von den Kindern und Enkeln unbewusst aufgenommen werden. Um all das in Zukunft besser zu bewältigen, sind wir alle gefragt und sollten ein Verständnis für traumatisierte Menschen entwickeln. Auch damit traumatisierte Geflüchtete hier in Würde ankommen und leben dürfen.

 

Seite 1: „Warten verstärkt traumatische Mechanismen“

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