„Wir sollten stärker auf die Kompetenzen eingehen”

26 Feb 2018
„Wir sollten stärker auf die Kompetenzen eingehen"

Von Dennis Mehmet

Die Diskursteilnehmerin Merima Dzaferovic leitet an der Universität Mainz ein Projekt für migrierte Akademikerinnen, deren Abschlüsse in Deutschland nicht anerkannt werden. Sie plädiert für ein Umdenken bei der Anerkennung von ausländischen Berufsqualifikationen. Sie sagt: „Es geht viel Potenzial verloren.“ 

Der deutschen Wirtschaft geht es so gut wie lange nicht. 2,2 Prozent Wachstum konnte sie im letzten Jahr verzeichnen — ein Aufschwung, der, so schätzen Experten, weiter anhalten und am Arbeitsmarkt für entsprechend freundliches Klima sorgen wird. „Der Arbeitsmarkt knüpft an seine sehr gute Entwicklung aus dem Vorjahr an und ist mit Schwung in das neue Jahr gestartet. Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ist weiter kräftig gewachsen, und die Nachfrage nach neuen Mitarbeitern blieb auf hohem Niveau“, heißt es bei der Bundesagentur für Arbeit zum Jahresbeginn.1 Einen Wermutstropfen gibt es aber: Bei Geflüchteten kommt dieser Aufschwung bislang noch nicht an. So waren im Jahr 2017 lediglich 15,1 Prozent der Menschen aus nichteuropäischen Asylherkunftsstaaten in Deutschland beschäftigt.2 Das liege zum einen, sagt die Arbeitsagentur, an zu geringen Deutschkenntnissen der Geflüchteten — zum anderen aber an fehlenden formalen Berufsabschlüssen.3 Sagen fehlende Formalia aber auch etwas über die tatsächlichen Qualifikationen der Menschen aus?

„Unser Anerkennungssystem ist stark reglementiert, sodass selbst hochqualifizierte und berufserfahrene Menschen durchs Raster fallen können“, sagt Merima Dzaferovic. „Dadurch geht viel Potential verloren. Auch in Berufsfeldern, in denen wir Bedarf an Fachkräften haben.“ Die Diskursteilnehmerin engagiert sich im Vorstand der Stiftung Bildung und Migration in Wiesbaden dafür, dass geflüchtete Studierende ihren Bildungsweg in Deutschland fortsetzen können. Nun hat sie das Ehrenamt zum Beruf gemacht und leitet die „Brückenmaßnahme Bildung und Beratung“ des Zentrums für wissenschaftliche Weiterbildung der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Dort werden ausländische Akademikerinnen, deren Abschluss in Deutschland nicht anerkannt worden ist, zu Bildungsberaterinnen ausgebildet, um im sozialen Bereich tätig sein zu können.

Die Frauen können ihr Fachwissen einbringen und weitergeben

„Wir richten uns an Geistes- und Sozialwissenschaftlerinnen, die Studien- oder Berufserfahrung mitbringen“, sagt Dzaferovic. „Also beispielsweise Psychologinnen oder Lehrerinnen, die ihren Beruf hier mangels Anerkennung nicht ausüben können.“ Die Teilnehmerinnen — es stehen 18 Plätze ausschließlich für Frauen bereit — erhalten neben einem intensiven Deutschkurs eine Weiterbildung zum Thema „Bildungsberatung und Kompetenzentwicklung“. Anschließend absolvieren sie Hospitationen in sozialen Einrichtungen der Region Mainz. Ziel ist es, dass die Frauen am Ende des Programms eine Anstellung in beratender Funktion erhalten. Für die Teilnehmerinnen ist das vom Land Rheinland-Pfalz geförderte Programm kostenlos.

„Wenn sie ihren Beruf schon nicht direkt ausüben können, so zumindest mittelbar“, sagt Dzaferovic. „Sie können sich als Beraterinnen mit ihrem Fachwissen einbringen und es weitergeben.“ Davon profitierten nicht nur die Frauen, sondern auch soziale Einrichtungen und deren Klientel. „Diese Frauen haben den entscheidenden Vorteil, dass sie nicht nur Fachwissen mitbringen, sondern auch mehrsprachig sind und sich in anderen kulturellen Kontexten bewegen können“, sagt Dzaferovic.

Können und Wissen unabhängig von formalen Kriterien anerkennen

Dzaferovic plädiert für einen Wandel im Umgang mit zugewanderten Fachkräften. „Es müssen rechtliche Rahmenbedingungen geschaffen werden, die es erlauben, berufliches Können und Wissen unabhängiger von formalen Kriterien anzuerkennen“, sagt sie. „Wir müssen von einem defizitorientierten zu einem stärker kompetenzorientierten Verfahren kommen, etwa mit fachspezifischen Eignungstests.“

An der Universität Mainz begleitet Dzaferovic die am Programm teilnehmenden Frauen während des gesamten Projektes als Mentorin. Gemeinsam entwickeln sie einen Plan für die berufliche Zukunft. „Es geht darum, dass man ganz individuell anhand vorhandener Erfahrungen herausfindet, wie eine Teilnehmerin sich bestmöglich beruflich entfalten kann“, sagt sie. „Dabei werden nicht nur die berufliche, sondern auch die soziale Biographie, besondere Sprachen, Softskills und Interessen in den Blick genommen.“

Individuelle Wertschätzung statt formaler Anerkennung — eine Win-Win-Situation für beide Seiten. „Die bisherigen Erfahrungen mit dem Programm zeigen, dass die Menschen spürbar an Selbstbewusstsein gewinnen, wenn sie mit ihren Fähigkeiten und Erfahrungen gesehen und ernst genommen werden“, sagt Dzaferovic. „Und letztlich ist Deutschland auf die Fähigkeiten dieser Menschen angewiesen — nicht nur, aber gerade auch in sozialen Berufen.”


Monatsbericht zum Arbeits- und Ausbildungsmarkt Januar 2018. Bundesagentur für Arbeit, S. 5.

2 Arbeitsmarktintegration von Zuwanderungsgruppen in Deutschland. Working Paper 02/2017. Förderprogramm “Einstieg durch Qualifizierung” (IQ). Fachstelle Einwanderung, S. 3.

3 Fluchtmigration. Berichte: Arbeitsmarkt kompakt. Januar 2018. Bundesagentur für Arbeit, S. 4.

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