Interview mit der bayerischen Integrationsbeauftragten

27 Jun 2018
Interview mit der bayerischen Integrationsbeauftragten
Mechthilde Wittmann ist bayerische Integrationsbeauftragte, Foto: Stephanie Ser

Seit März 2018 ist Mechthilde Wittmann Integrationsbeauftragte der Bayerischen Staatsregierung. In dieser Funktion erklärt sie ihre Position zur Integration, aber auch inwiefern sie Migrationsbewegungen als zentrale Herausforderungen der Zukunft betrachtet. Wie sie diese „Herausforderungen“ auf politischer Ebene umsetzen will, erzählt sie im Interview.

In unserem Diskursprojekt steht der Begriff Integration im Vordergrund. Daher würde ich gerne mit einer Begriffsdefinition beginnen: Wie definieren Sie Integration?

Die Integration setzt ein, wenn jemand legal in unserem Land ist. Und dann ist Integration nicht nur wünschenswert, sondern dringend erforderlich. Integration bedeutet zuerst Spracherwerb, dann Erwerb der Kenntnisse der Werte und Kultur in unserem Land und schließlich und endlich das Einfügen in das gesellschaftliche Leben hier. Damit wollen wir ermöglichen, dass Zugewanderte nach den Werten und Leitbildern, die wir hier in Deutschland haben, leben können.

Wie wollen Sie dieses Verständnis umsetzen? Was sind die zentralen Bereiche in denen Sie Handlungsbedarf sehen?

In Bayern setzen wir die Integration in einer Intensität um wie in keinem anderen Bundesland Deutschlands. Beginnend beim Spracherwerb. Hier bieten wir in beeindruckendem Umfang Sprachkurse an – sowohl ehrenamtlich als auch professionell – und wir haben massiv in die Einstellung von Lehrern auf Staatskosten investiert. Jugendliche werden – selbst wenn sie aus der Schulpflicht fallen – gebildet und ausgebildet.

Man sollte sich aber nichts vormachen: Integration ist ein langer Prozess, der nicht in wenigen Jahren stattfinden kann. Viele der Menschen, die jetzt zu uns kommen sind uns so kulturfremd, dass wir sie nicht nur alphabetisieren müssen. Wir müssen damit beginnen, ihnen zu erklären, wie wir lernen, wie bei uns Leistung und Gegenleistung funktioniert. Das heißt, dass man nur durch Leistung die eigene Existenz sichern kann. Das zu erklären braucht Zeit und die müssen wir jenen, die zu uns kommen, geben. Wir können nicht verlangen, dass sie das von heute auf morgen umsetzen können. Sie sind anders aufgewachsen, anders sozialisiert. Davor haben wir Respekt und wir akzeptieren das. Aber wer sich entschieden hat, zu uns zu kommen, hat sich auch entschieden, dass er unsere Kultur akzeptieren muss.

Wir dürfen auch nicht übersehen, dass mehr als 80 Prozent der zu uns Zuwandernden aus dem EU-Ausland kommen und legal zugewandert ist. Aber auch hier ist es bei manchen schwierig, weil das kulturelle Verständnis nicht ganz mit unserem übereinstimmt, auch wenn es uns näher liegt. Was wir hier brauchen ist, dass die Menschen mit Hilfe entsprechender Angebote zu einem zügigen Integrationserfolg gelangen. Das wünschen wir uns auch, weil wir dadurch eine viel höhere Akzeptanz für die Migranten in der Gesellschaft erreichen – auch für die, bei denen es länger dauert, wofür durchaus Verständnis herrscht.

Unter Ihrer Leitung startete die Koordinierungsrunde „Integration in Bayern“ vor kurzem. Welches Ziel verfolgt diese Koordinierungsrunde?

Die Koordinierungsrunde in Bayern dient dazu, dass die verschiedenen Teilbereiche gut abgestimmt werden. Damit sollen Doppelstrukturen vermieden werden, aber auch, dass ungewollt gegeneinander gearbeitet wird. Das heißt, hier werden alle Akteure zusammengebracht, die in diesem Bereich tätig sind und versucht gemeinsam abzustimmen, wie man möglichst effizient arbeitet und auch möglichst keine Lücken entstehen. Denn uns ist natürlich auch wichtig, dass wir die Menschen überall auffangen.

Sie haben bereits den Erwerb der Kenntnisse von deutschen Werten und deutscher Kultur angesprochen, der auch im bayerischen Integrationsgesetz verankert ist. Das Bayerische Integrationsgesetz wird jedoch immer wieder kritisiert. Zum Beispiel heißt es in einer Analyse vom Sachverständigenrat Deutscher Stiftungen für Migration und Integration, dass im bayerischen Integrationsgesetz Zuwanderung implizit als Bedrohung für eine kulturelle Grundordnung Bayerns verstanden wird oder dass das Gesetz von einer homogenen Gesellschaft ausgeht. Wie stehen Sie zu dieser Kritik?

Das ist ganz einfach: Die Herrschaften haben nicht sachlich an den Beratungen zum Gesetz teilgenommen, sondern stattdessen versucht den Beschluss durch undemokratisches „filibustern“ zu torpedieren. Fakt ist, dass wir uns durchaus bewusst sind, dass unsere Gesellschaft nicht homogen ist. Im Gegenteil, da sind wir stolz auf die Vielfalt. In Bayern gibt es das Motto „leben und leben lassen“. Das funktioniert aber nur, wenn sich alle so an die Werteordnungen halten, damit das auch weiterhin möglich bleibt. Derzeit ist dieses „leben und leben lassen“ in Gefahr und das möchten wir nicht. Wir möchten, dass „leben und leben lassen“ in Deutschland und Bayern auch weiter gilt und von denen, die zu uns kommen, auch gelebt wird.

Auf Ihrer Webseite steht, dass in Ihrem Leben Ihre Kinder im Zentrum stehen und für Sie die Familie die Keimzelle der Gesellschaft ist. Das ist ein Wert, der sich in der CSU widerspiegelt. Viele Expert*innen im Integrationsbereich sagen, dass die Familie auch zentral ist für die Integration der Geflüchteten. Wie stehen Sie vor diesem Hintergrund, dass dieser Wert der Familie so hochgehalten wird, zum Thema Familiennachzug?

Jeder, der legal da ist, jeder anerkannte Flüchtling kann seine Familie nachziehen lassen. Alle diejenigen, die wieder nach Hause gehen sollten, weil sie keine Bleibeperspektive haben, können den Familiennachzug selbstverständlich in ihrem Heimatland verwirklichen. Ich finde es völlig unverständlich, dass man die Angehörigen zurücklässt und selber geht – außer wenn man die Absicht hat, die Familie wirtschaftlich zu unterstützten. Dieses Motiv ist zwar verständlich, aber das kann nicht heißen, dass die gesamte Familie selbstverständlich nachziehen darf. Das würde in der Bevölkerung massiven Widerstand hervorrufen und alle Integrationsbemühungen würden zerschlagen. Dieses Risiko wollen wir nicht eingehen.

Die Einschränkungen betreffen aber nicht Personen mit einer niedrigen Bleibewahrscheinlichkeit, sondern subsidiäre Schutzberechtigte. Der subsidiäre Schutz ist als Ergänzung zur Genfer Flüchtlingskonvention gedacht, das heißt er deckt das ab, was die Flüchtlingskonvention nicht abdeckt wie zum Beispiel Todesstrafe oder Folter. Es geht also nicht um Personen, die eine schlechte Bleibeperspektive haben.

Das ist richtig. Dann muss man sich aber überlegen, ob man die Familienzusammenführung beispielsweise in einem anderen Land herstellt. Im Übrigen ermöglichen wir auch hier den Familiennachzug in begrenzter Zahl.

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