Wer redet hier von Heimat?

06 Mrz 2018
Wer redet hier von Heimat?
Pixabay CC0 /Efraimstochter

Die „Heimat“ erlebt im politischen Diskurs derzeit eine Renaissance. Kann man den Begriff für die Integrationsdebatte produktiv gebrauchen? Zwei Audio-Statements von den Diskursteilnehmern Anselm Böhmer und Erdoğan Karakaya.

Worum geht es in der „Heimatdebatte“?

Der Auftakt der „Heimatdebatte“ kam — das ist nach dem Scheitern der „Jamaika“-Verhandlungen etwas in Vergessenheit geraten — nicht aus dem klassischen konservativen Parteienspektrum. Es war Katrin Göring-Eckardt, die auf einem Parteitag der Grünen im September 2017 sagte:

Wir lieben dieses Land, das ist unsere Heimat, und diese Heimat spaltet man nicht.

In ihrer Partei traf sie damit auf teils heftigen Widerstand — doch Göring-Eckardt blieb auf Kurs. Man dürfe die Deutungshoheit über den Begriff nicht den Rechten überlassen, sagte sie.Damit nahm sie bereits die Worte von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vorweg, in dessen vielbeachteter Rede zum Tag der Deutschen Einheit es wenige Tage später hieß:

Die Sehnsucht nach Heimat, nach Sicherheit, nach Entschleunigung, nach Zusammenhalt, vor allen Dingen nach Anerkennung, diese Sehnsucht nach Heimat, die dürfen wir nicht den Nationalisten überlassen.2

Und nun soll es also einen „Heimatminister“ auf Bundesebene geben. So haben es jedenfalls CDU, CSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag beschlossen. Geplant ist, das Bundesinnenministerium nicht nur um die Zuständigkeit „Bau“ — sondern eben auch um die der „Heimat“ zu ergänzen. Besetzt werden soll das Amt künftig von Horst Seehofer (CSU), derzeit noch bayerischer Ministerpräsident.

In Bayern hat man schon seit 2013 Erfahrungen mit einem solchen „Heimatminister“ gemacht, der dort im Finanzministerium angesiedelt ist. Nach Vorstellungen des designierten bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder — als Finanzminister derzeit selbst noch für die bayerische Heimat zuständig — soll der „Heimatminister“ zwar auch „Brauchtum unterstützten, Dialekte fördern und Heimatpreise vergeben“ — im Zentrum stehe aber nicht die „Folklore“, sondern „aktive Strukturpolitik“ in finanzschwachen Regionen. So hofft man, „politische Antworten auf die AfD zu liefern.“3

Mariam Lau, die Hauptstadt-Korrespondentin der Zeit, bemerkt zwar, dass man auch mit einem Heimatministerium den Aufstieg der AfD in Bayern nicht habe eindämmen können (die AfD kam dort bei der Bundestagswahl auf 12,4 Prozent) — schreibt aber:

Nicht einmal seine erbittertsten Gegner bestreiten, dass Söder [mit dem bayerischen Heimatministerium] Erfolge vorzuweisen hat: Die Geburtenrate stieg, mehr Leute zogen aufs Land, dem Arbeitsmarkt geht es besser, und sogar im strukturschwachen Norden Bayerns gelingt es Unternehmen häufiger, sich über Wasser zu halten.4

Mit Horst Seehofer, der seine Karriere als Sozialpolitiker begann, hofft Lau, hat das Ministerium eine Besetzung gefunden, die mehr bietet als Trachtenjanker und Maßkrugstemmen. Doch es geht nicht nur um Sozialpolitik. Die politische Evokation von „Heimat“ — gar von einem Bundesminister — sehen viele Beobachter kritisch. In der Zeit hieß es:

Man sollte den Begriff der Heimat unbedingt dem rechten Rand überlassen – wenn man ihn übernimmt, legitimiert man sein nationalistisches, fremdenfeindliches und populistisches Potenzial und leistet unfreiwillig Schützenhilfe.5

Und Gökay Sofuoğlu, der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, sagte der Berliner Zeitung angesichts der Diskussion über den Heimat-Begriff:

Wir befürchten, dass er nicht Zusammenhalt und Zusammengehörigkeit, sondern Ausgrenzung und Spaltung fördert.6

Wie nun also umgehen mit der Heimat — speziell in der Integrations-Debatte? Das wird auch unter den Teilnehmenden des Diskursprojektes diskutiert. Was Heimat bedeuten kann, wo die Chancen und die Grenzen des Begriffs liegen, darüber sprechen Anselm Böhmer und Erdoğan Karakaya.

Wie umgehen mit der „Heimat“?

Anselm Böhmer

„Es braucht die Heimat nicht“

Für eine Politik und Praxis von sozialer Sicherheit, menschlicher Zugehörigkeit und Vertrauen in die gemeinsame Demokratie.

Erdoğan Karakaya

„Meine Heimat war das Ruhrgebiet“

Für einen integrativen, zukunftsorientierten Heimatbegriff — und eine „Gesellschaft des Öffnens.“


1 Katrin Göring-Eckardt: „Heimat ist ein Projekt“, taz, 5.10.2017. Über den parteiinternen Streit bei den Grünen siehe etwa den Videobeitrag „Heimatland! Grünenstreit über Heimatbegriff“, Kontrovers, Bayerischer Rundfunk, 18.10.2017.

2 Frank-Walter Steinmeier: „Festakt zum Tag der Deutschen Einheit“, Mainz, 3.10.2017.

3 Uli Bachmeier: „Was macht eigentlich ein Heimatminister, Herr Söder?Augsburger Allgemeine, 10.2.2018.

4 Mariam Lau: „Weiße Flecken“, Die Zeit, 14.2.2018.

5 Daniel Schreiber: „Deutschland soll werden, wie es nie war“, Die Zeit, 10.2.2018.

6 Markus Decker: „Debatte über neues Ressort: Worum kümmert sich eigentlich das Heimatministerium?“, Berliner Zeitung, 9.2.2018

Text: Dennis Mehmet

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