EU-Parlamentarier*innen sprechen über Asyl- und Migrationspolitik

16 Jul 2018
EU-Parlamentarier*innen sprechen über Asyl- und Migrationspolitik
Antonio Tajani, Josef Weidenholzer, Roberts Zīle, Ska Keller, Peter Lundgren, Gabriele Zimmer (von links oben nach rechts unten); Copyright: EC - Audiovisual Services, SPÖ Oberösterreich, Euranet Plus, EU-Partei Die Grünen, Frankie Fouganthin, gabizimmer.eu

„In welchem Europa wollt ihr leben?“, mit dieser Frage eröffnete Moderatorin Claudia Unterweger die Diskussionsveranstaltung „#ask: Meine Sicht auf Europa“ im Wiener Audimax. Eine Delegation des Europäischen Parlaments stellte sich dabei am 19. Juni den Fragen von Studierenden. Studierende, die unter anderem in einem Europa leben wollen, welches Migration, Flucht und Menschenrechte zusammendenkt. Das ließen zumindest einige der Fragen vermuten. Mit welchen Ansätzen die EU-Parlamentarier*innen den Themen Migration und Flucht begegnen, soll dieser Ausschnitt aus der Diskussion zeigen.

Der Präsident des Europäischen Parlaments Antonio Tajani, Josef Weidenholzer (Vizepräsident der Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten), Roberts Zīle (Stellvertretender Vorsitzender der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer), Gabriele Zimmer (Vorsitzende der Konföderalen Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke), Ska Keller (Ko-Vorsitzende der Fraktion der Grünen/Freie Europäische Allianz) und Peter Lundgren (Stellvertretender Vorsitzender der Fraktion Europa der Freiheit und der direkten Demokratie).1 Diese Personen beantworten die Fragen der Studierenden.

„Wie möchte sich Europa auf eine erneute Flüchtlingsmigration vorbereiten und wie soll die Asylpolitik in Zukunft gestaltet werden?“, so lautet eine der ersten Fragen von einer Studierenden. Die Antworten reichen von mehr Solidarität über Fluchtursachen bekämpfen bis hin zur Auseinandersetzung mit Mythen.

„Wir sprechen von Solidarität, von fairer Verteilung. Aber es wurde noch kein Weg gefunden, um das so umzusetzen. Jetzt bildet sich eine Fraktion innerhalb der EU, die nicht mehr von einer europäischen Lösung ausgeht. Die CSU stellt ein Ultimatum und droht mit einem Alleingang. Was bedeutet das für die EU, wenn in der nächsten Zeit keine Lösung gefunden wird?“

Josef Weidenholzer: Im Gegensatz zu vielen meiner Kollegen war ich oft am Balkan. Ich kenne die Lager, ich habe mit den Menschen gesprochen. Es passieren sehr grausliche Dinge dort. Wenn man die Grenzen schließt und einem Teil der Menschen keine Chance mehr gibt weiterzukommen, vertrauen sie sich kriminellen Netzwerken an. Das kostet viel Geld, das man nicht hat, wenn man gerade in Griechenland ist. Dadurch nimmt die Prostitution oder der Organhandel in solchen Lagern zu. Das heißt, wir brauchen vernünftige Lösungen, die nicht darin bestehen, dass man den Teufel an die Wand malt, um ihn dann zu bekämpfen. Das bringt natürlich Wählerstimmen, daher ist man eigentlich froh, wenn man das Problem nicht löst. Die Probleme lassen sich aber lösen, wenn man nur will und das kostet auch nicht sehr viel.

Ska Keller: Das Gute ist, dass wir als Europäisches Parlament fraktionsübergreifend einen Vorschlag zur Reform des Dublin-Systems gemacht haben, der das Dublin-System durch eine faire Verteilung von Asylsuchenden ersetzen will. Die gleichen Fraktionen und die gleichen Länder, die auch im Rat sitzen, haben es im europäischen Parlament geschafft, einen Kompromiss zu finden. In diesem Vorschlag ist nicht alles grün, trotzdem verteidige ich ihn. Wenn wir das schaffen, frage ich mich, warum der Europäische Rat das nicht schafft. Und jetzt steht Europa vor einem Ultimatum, weil eine bayerische Regionalpartei vermutlich nicht mehr die absolute Mehrheit bekommt. Das finde ich unterirdisch. Wir brauchen den Druck auf die Mitgliedstaaten. Viele denken, dass alle Bürgerinnen und Bürger keine Flüchtlinge aufnehmen wollen. Ich glaube nicht, dass das stimmt, aber jene, die keine wollen, sind am Lautesten. Daher ist es wichtig, dass die Anderen auch mal sagen, dass sie vernünftige Lösungen wollen, dass sie Menschen in Not helfen und keine Ultimaten von kleineren oder größeren Splitterparteien wollen.

„Wie können wir eine Gesellschaft erreichen, in der der Respekt gegenüber Menschenrechten universell ist?“

Gabriele Zimmer: Ich kann mich nicht wirklich sozial frei fühlen, wenn ich bestimmte Rechte nicht habe und dazu gehört auch die Frage, wie wir mit Asylbewerbern und Geflüchteten umgehen. Das ist ein Menschenrecht. Asylschutz ist ein Menschenrecht. Dem haben wir uns zu stellen. Wir können nicht einfach sagen, dass wir uns nur um uns kümmern und der Rest ist uns egal.

Ska Keller: Die Fluchtfrage ist gerade eine unglaublich wichtige Frage und das nicht, weil die EU bedroht ist. Es gibt 500 Millionen Einwohner*innen in der EU. 2015 kamen zwei Millionen Flüchtlinge, also ein Flüchtling auf 250 Einwohner*innen. Das Problem in 2015 war, dass es keine geordneten Verfahren und keine faire Verteilung gab. Die eigentliche Katastrophe ist, dass wir jetzt jeden Anschein von Humanität verlieren in der Europäischen Union. Es geht gerade darum, dass alle Grenzen dichtgemacht werden, dass das Recht auf Asyl faktisch abgeschafft wird oder dass wir Zentren in Libyen machen, wo es nicht mal einen funktionierenden Staat gibt. Das ist für mich das Ende der Humanität und das Ende der Menschenrechte in der Europäischen Union.

1 Kurzfristig abgesagt haben Manfred Weber (Vorsitzender der Europäischen Volkspartei), Guy Verhofstadt (Vorsitzender der Fraktion der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa) und Nicolas Bay (Ko-Vorsitzender der Fraktion Europa der Nationen und der Freiheit).

Transkript: Valentine Auer

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