Elke Reinhart ist Teilnehmerin des aktuellen Diskurses „Miteinander vor Ort“. Sie ist Integrationsbeauftragte der Stadt Neunburg vorm Wald und Kümmerin bei der Initiative „Integration SAD“. Neben der Projektarbeit mit den Schwerpunkten Begegnung und Bildung unterstützt sie landkreisweit Menschen, Schulen, Institutionen, Behörden und Unternehmen, um zum Gelingen von Integration beizutragen. Sie leitet das neue Haus der Begegnung mit Jugendtreff in Neunburg vorm Wald. Zum Offenen Treff kommen eigentlich um die 20 Jugendliche aus acht verschiedenen Nationen im Alter von 13 bis 19 Jahren – bis zu den Ausgangsbeschränkungen, die zur Eindämmung des Coronavirus erlassen wurden. Gemeinsam abhängen, quatschen, Musik machen und darüber die Alltags- und Schulprobleme vergessen, ist auch jetzt noch nicht möglich. Elke Reinhart berichtet aus ihrem veränderten Arbeitsalltag und über die Schwierigkeiten und Herausforderungen von Begegnungen bei gleichzeitiger Abstandswahrung.
„Fronfeste“ als Haus der Begegnung und: Wann geht’s wieder weiter?
Seit September 2019 gibt es den Jugendtreff in Neunburg vorm Wald. Im Obergeschoss der frisch renovierten Fronfeste, einem denkmalgeschützten Haus, stehen den Jugendlichen zwei Räume zur Verfügung, die sie nach ihren Vorstellungen gestaltet haben. Hier haben sie sich ein Wohnzimmer und einen Musikraum eingerichtet. Darüber hinaus gibt es auch eine Teeküche, die aber auch allen anderen Nutzer*innen zur Verfügung steht, und weitere Räume für Veranstaltungen.
Der Offene Treff ist ein wichtiger Bezugs- und Anlaufpunkt für die Jugendlichen. Viele von ihnen kennt Reinhart durch ihre Arbeit als Integrationsbeauftragte. Zugezogene und Alteingesessene kommen hier zusammen. Ein Ort, um ihre Alltags- und Schulprobleme zu besprechen, Unterstützung bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz oder auch bei den Hausaufgaben zu erhalten. Es wird gegessen, gekickert, Musik gemacht oder nur gemütlich miteinander abgehangen. Einfach zusammen sein. Einander begegnen.
Der Jugendtreff ist seit Ende März geschlossen. Ersatzweise trafen sie sich einmal pro Woche via Videokonferenz und hielten per WhatsApp und über Chats Kontakt. Nicht zu allen Jugendlichen blieb der Kontakt gleichermaßen bestehen. Reinhart bemerkte, dass die meisten im schriftlichen Kontakt eher oberflächlich bleiben – „Danke, mir geht’s gut“ – und nicht schreiben, wenn es Probleme gibt. Die Erfahrung der virtuellen Treffen via Zoom sei durchaus interessant, aber Reinhart hatte es sich einfacher und weniger anstrengend vorgestellt. Es gilt umzudenken und das Gespräch braucht Moderation, um die Balance zu halten zwischen denen, die dauernd reden, und denen, die es schon suspekt finden, sich selbst auf dem Bildschirm zu sehen. Das sei eine große Herausforderung.
Was in einer Videokonferenz fehlt, sei ein geschützter Raum. Im Jugendtreff, so Reinhart, können sie sich zu einem Zweiergespräch in die Küche zurückziehen. Ein Vorteil der Videokonferenz sei dagegen, dass man sich auch mit denjenigen austauscht, mit denen man sonst eher nicht ins Gespräch kommt. Und man sei auch in gewisser Weise gezwungen einander zuzuhören.
Seit Mitte Mai entfielen die virtuellen Treffen, da Reinhart in ihrer Eigenschaft als Integrationsbeauftragte mit den ersten Corona-Fällen in der Gemeinschaftsunterkunft beschäftigt war. Das hat sie in den zurückliegenden Wochen in Atem gehalten, um mit den Behörden, aber vor allem mit den dort lebenden Menschen die entsprechenden Maßnahmen zu ergreifen. Dank Reinharts Engagement und ihrer Unermüdlichkeit, gute Lösungen für alle zu finden, gelang es, eine durchweg hohe Akzeptanz und Kooperation unter den dort Wohnenden zu erreichen. Dadurch wurde die Infektionskette gestoppt. Seit Anfang Juni gibt es keine weiteren Neuinfektionen und die Quarantäne ist aufgehoben.
Reinhart wird ständig von den Jugendlichen gefragt, wann der Offene Treff wieder aufmacht. Sie befürchtet, dass es im Juni noch keine Wiedereröffnung geben wird und überlegt, ob sie stattdessen einen Treff im Stadtpark oder im Burghof, direkt neben der Fronfeste, initiiert. Im Burghof finden im Sommer normaler Weise die Burgfestspiele statt, aber da sie in diesem Jahr ausfallen, könnten sie sich durchaus dort treffen. Aber haben die Jugendlichen das Bedürfnis, sich unter diese Bedingungen zu treffen? Sie vermissen den Treff – das heißt die Nähe und auch Intimität ihrer Räumlichkeiten, dass man sich mal eben einen Kaffee macht, gemeinsam isst, kickert, Musik macht. All das in dem Gefühl, quasi eine eigene Wohnung zu haben. Reinhart fragt sich, wie und ob sich das in anderer Weise umsetzen lässt, aber noch fehlt die zündende Idee. Ihr Eindruck ist: Die Jugendlichen wollen es wieder wie vor Corona haben. Und bis dato haben sie noch keine eigenen Vorschläge eingebracht.
Vor den Ausgangsbeschränkungen kamen zeitgleich durchschnittlich 15 Jugendliche zum Offenen Treff. Waren es mehr, wurde es eng und auch etwas ungemütlich. An Aktionstagen kamen auch mal mehr. Aus jetziger Sicht unvorstellbar. Jetzt muss ein Hygiene- und Schutzkonzept erstellt und umgesetzt werden und Reinhart kann sich den Jugendtreff unter diesen Bedingungen noch nicht wirklich vorstellen. Maskenpflicht, Abstandswahrung und wer darf wann rein, wenn sich nur zwei bzw. vier Personen zeitgleich in den Räumlichkeiten aufhalten dürfen? Es ist nur zu verständlich, dass die Jugendlichen es wieder wie „vorher“ haben wollen.
Graffiti trifft Aquarell und Räume für Begegnungen
Für den 6. April war ein Graffiti-Kurs für die Jugendlichen geplant mit dem Kunstverein „Unverdorben“ – parallel dazu sollte ein Aquarell-Malkurs für Senior*innen stattfinden. Getroffen hätte man sich zu Brotzeit und Kaffee mit Möglichkeit zum Austausch. An dem Tag hätten die Jugendlichen ein Graffiti gestaltet und ihr Kunstwerk dann mit nach Hause nehmen können. In einem nächsten Schritt wollten sie sich dann die künstlerische Wandgestaltung des Musikraums vornehmen. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben und so hofft Reinhart, dass sie diesen Aktionstag schon bald nachholen können.
Räume für Begegnungen zu schaffen ist Reinharts Ansatz, sie sagt: „Wir leben diese zufälligen Begegnungen auch im Emma-Laden. Da arbeiten auch Jugendliche aus dem Jugendtreff mit. Das funktioniert fantastisch, weil sie so recht früh lernen, Vielfalt zu leben, mit unterschiedlichen Altersgruppen zurechtzukommen und mit den Oberpfälzer Eigenheiten umzugehen. Alle unsere Jugendlichen sind wirklich in hohem Maß sozial kompetent.“ Der Emma-Laden wurde 2015 während der sogenannten „Flüchtlingskrise“ gegründet und steht allen offen. Wer bedürftig ist, zahlt nur die Hälfte und muss die Bedürftigkeit nicht nachweisen, wie etwa bei den Tafeln. Schwerpunktmäßig gibt es Kleidung und Schuhe. Aber es werden auch Spielzeug, Fahrräder, Geschirr – bei Bedarf auch Kinderwagen – verkauft.
Drei junge Männer aus dem Jugendtreff – aus Eritrea, Bulgarien und Syrien – übernehmen im Laden die Aufgaben, für die man Kraft braucht. Säcke schleppen zum Beispiel. Und seit Kurzem teilen sie sich die Security. Am 25. Mai war die Wiedereröffnung, nachdem alle Geschäfte Ende März im Zuge der Corona-Maßnahmen schließen mussten. Nun gilt es viele Auflagen zu beachten. Die Jungs der Security haben unter anderem ein Auge darauf, dass sich nicht zu viele Leute im Laden aufhalten. Auch zwei junge Frauen aus dem Jugendtreff – beide gebürtige Neunburgerinnen – arbeiten im Laden mit. Alle sind ehrenamtlich tätig. Reinhart zollt ihnen dafür Respekt: „Bei den jungen Frauen ist das viel selbstverständlicher, dass sie sich ehrenamtlich engagieren, aber für die jungen Männer ist das anders. Gerade auch für diejenigen, die in die Integrationsklassen gehen und die das Ehrenamt nicht kennen. Manchmal kassieren sie dafür einen Kommentar, aber dann geben sie schlagfertig zurück, dass im Laden keiner etwas verdient und es denjenigen hilft, die sich sonst Kleidung und Schuhe in den Geschäften nicht leisten können“. Und sie sind auch die ersten, die mitbekommen, wenn coole Klamotten oder Accessoires abgegeben werden. Dann genießen sie eine Art Vorkaufsrecht.
Auch wenn Reinhart im Emma-Laden oder auf der Straße immer wieder „ihren“ Jugendlichen begegnet und sich die Gelegenheit zu einem kurzen Austausch ergibt, fehlt der regelmäßige, persönliche Kontakt. Keine Videokonferenz kann diesen ersetzen. Auch weil man in der direkten Begegnung viel schneller und direkter erfasst, wie es dem anderen geht. Hinderlich ist in diesem Fall der Mundschutz. Man erkennt sein Gegenüber schlechter und aufgrund der fehlenden Mimik lässt sich die Stimmung nicht auf Anhieb erkennen. All das bedarf einer erhöhten Aufmerksamkeit – sowohl beim Hinschauen, als auch beim Hinhören.
Reinhart findet, dass die Jugendlichen durch diese Situation schneller erwachsen werden müssen und dass man ihnen viel abverlangt. Sie fragt sich: Wie können wir das jetzt so gestalten, dass es gut wird für die Jugendlichen? Bestimmt wird sie auch da gute und kreative Lösungen finden.
Von Juliane Schwab