“Wann macht ihr das Jugendzentrum wieder auf?”

28 Mai 2020
"Wann macht ihr das Jugendzentrum wieder auf?"
Dominik Rankl, Leiter des Jugendzentrums in Bobingen; Foto: Beate Winterer

Dominik Rankl nimmt am aktuellen Diskurs-Projekt „Miteinander vor Ort“ teil. Er leitet seit anderthalb Jahren das Jugendzentrum Bobingen. Das Jugendzentrum besteht seit über 30 Jahren und befindet sich in der Trägerschaft des Kreisjugendrings Augsburg-Land. Im Schnitt kommen pro Tag 60 junge Menschen im Alter von 13 bis 23 Jahren. Seit dem 13. März ist das Jugendzentrum im Zuge der Ausgangs- und Kontaktbeschränkung zur Eindämmung der Corona-Pandemie geschlossen. Dominik Rankl berichtet über die neuen Arbeitsbedingungen, die durch die Corona-Maßnahmen entstanden sind, und die Herausforderungen, die mit einer Wiedereröffnung des Jugendzentrums einhergehen werden.


Wie gestaltet sich dein Arbeitsalltag, seit das Jugendzentrum geschlossen ist?

Nach der Schließung des Jugendzentrums Mitte März haben wir uns zunächst all den Arbeiten gewidmet, zu denen wir sonst aufgrund der alltäglich anfallenden Aufgaben zu wenig kommen. Alle Lager und häufig genutzte Räume wurden aufgeräumt, Bestände geprüft, Listen überarbeitet, Neuanschaffungen getätigt und Altes entsorgt. Dann galt es, den Zielkatalog, das Gesamtkonzept und das Erscheinungsbild des Jugendzentrums zu diskutieren und neue Vorschläge zu erarbeiten. Neben der Aufräum-, Überarbeitungs- und Neukonzeptionierungsarbeit widmete sich das Team auch der Entwicklung von Online-Angeboten. Darüber hinaus haben wir weiter für die Pfingst- und Sommerferien geplant und alles soweit vorbereitet, dass eine Durchführung möglich wäre.

Wie ist der Kontakt zu den Jugendlichen?

Anfänglich brach der Kontakt zu den Jugendlichen eher ab. Über einen neu eingerichteten Newschannel des Jugendzentrums erhalten die Jugendlichen jetzt Infos über die kommenden Online-Angebote. Und es gibt „Online-Sprechzeiten“, zu denen ein Mitarbeiter im Jugendzentrum zum Reden – über Telefon oder Chat – erreichbar ist. Es gibt auch immer wieder mal Anfragen, meistens geht es dabei um Berufsorientierung, Bewerbungs-Tipps und dass wir Anschreiben für eine Bewerbung gegenlesen. Aber auch das hat abgenommen. Der Kontakt ist einfach schwieriger zu halten und wir versuchen, über verschiedene Kanäle präsent zu sein, um den Jugendlichen zu vermitteln: Wir sind auch weiter für euch da. Aber letztlich ist der Kontakt stark eingebrochen.

Kürzlich kam ich nach der Arbeit aus dem Jugendzentrum und dann standen einige Jugendliche vor der Tür. Wir haben uns ein wenig unterhalten. Das kurze Stimmungsbild hat ergeben, dass vielen langweilig ist, sie sich wieder den direkten, persönlichen Kontakt wünschen und nicht gedacht hätten, dass sich alles so stark verändert. Keine fünf Minuten später kam die Polizei vorbeigefahren und hat uns wirklich freundlich und nett aufgefordert, wieder auseinanderzugehen. Der direkte und persönliche Kontakt fehlt.

Welche Online-Angebote wünschen sich eure Jugendlichen?

Wir haben über ein Online-Umfrage-Portal insgesamt vier Fragen gestellt. Wir wollten von den Jugendlichen wissen, wie es ihnen geht und wie sie ihren Alltag verbringen. Dann haben wir gefragt, welche Online-Angebote sie gerne hätten und zum Schluss, was sie sich für die kommende Zeit wünschen. Die Resonanz auf die Umfrage war gering, bisher gab es nur fünf Beantwortungen. Zwar haben wir das auf unterschiedlichen Kanälen geteilt, aber trotzdem konnten wir damit nur wenige Jugendliche erreichen. Unter den eingegangenen Vorschlägen und Wünschen war, dass wir live kochen, ein Online-Quiz anbieten und dass wir bald wieder das Jugendzentrum aufmachen sollen. Klar! Die machbaren Wünsche haben wir gleich umgesetzt.

Das erste Quiz ging am 15. Mai online. Die Beantwortung der Fragen nimmt höchstens fünf Minuten in Anspruch und ist speziell auf unsere Jugendlichen ausgerichtet, die das Jugendzentrum gut kennen. Für den ersten Platz gab es einen Gutschein und ein zweiter wurde unter den insgesamt 19 Teilnehmenden verlost. In der Zwischenzeit ist schon das zweite Quiz online.

Unsere Live-Kochshow haben wir in der Küche des Jugendzentrums aufgenommen. Fünfzehn Jugendliche haben sich zugeschaltet. Wir konnten uns während des Kochens unterhalten und sie hatten die Möglichkeit, im Chat zu kommentieren. Wir hatten uns für ein vegetarisches Nudel-Gericht entschieden, das mit relativ wenigen und günstigen Zutaten auskommt, so dass auch insbesondere unsere Zielgruppe es nachkochen kann. Es kam gut an. Vielleicht achten wir beim nächsten Mal etwas mehr auf die Zeit. Es ging deutlich über eine Stunde, da lässt irgendwann das Interesse nach. Für das nächste Live-Kochen haben sie sich Pfannkuchen gewünscht.

Über das Kochen hinaus ergaben sich Möglichkeiten, ins Gespräch zu kommen: Wie läuft es im Alltag? Wie ist die Schule wieder angelaufen? Was macht die Ausbildung? Aber auch: Was treibt euch um? Was können wir noch besser machen?
Uns ist es wirklich wichtig, die Anregungen der Jugendlichen aufzunehmen und umzusetzen. So versuchen wir kontinuierlich, unser Angebot auszubauen und Anknüpfungspunkte mit den Jugendlichen zu schaffen, damit wir sehen, worauf sie ansprechen und wofür sie sich aktuell interessieren. Weil wir ehrlich gesagt etwas im Dunkeln tappen, das muss ich gestehen. Im persönlichen Kontakt bekommt man viel schneller mit, was gerade abgeht und wie die Stimmung ist. Die Kontaktarbeit ist das Herzstück unserer Arbeit und die ist jetzt außen vor.

Und grundsätzlich möchten wir sie ja nicht noch mehr zum Online-Konsum anstiften. Keinesfalls wollen wir irgendwelche Formate anbieten, die sie vielleicht schon leid sind. Insgesamt schauen wir nach Themen, über die wir mit den Jugendlichen ins Gespräch kommen können, die sie interessieren und die zugleich auch einen Bildungsaspekt verfolgen. Ihr größter Wunsch ist, dass wir das Jugendzentrum wieder öffnen.

Wie kann Jugendarbeit unter den coronabedingten Maßnahmen weitergeführt werden?

Ich denke, das wird stark eingeschränkt sein. Je nachdem wie viele Personen sich gleichzeitig in unseren Räumlichkeiten aufhalten dürfen – ob das nun von der Quadratmeterzahl abhängt oder eine maximale Gruppengröße vorgegeben wird. Klar ist: Da werden nur sehr wenige Leute reinkommen und wir müssen auch die personelle Struktur bedenken. An manchen Tagen bin ich alleine für das gesamte Jugendzentrum zuständig, da kann ich nicht auf zwei Stockwerken gleichzeitig sicherstellen, dass die Auflagen eingehalten werden. Wenn zehn bis maximal zwölf Leute da sind, geht das vielleicht noch, aber über zwei Etagen und mit mehr Jugendlichen ist das kaum vorstellbar. Allein unsere personelle Struktur schränkt schon ein, mehr Jugendliche zuzulassen.
Und dann kann es natürlich noch sein, dass der Kicker und andere Dinge gar nicht benutzt werden dürfen bzw. direkt nach der Benutzung desinfiziert werden müssen. Das ist unglaublich aufwendig. Ich empfand es  zum Teil schon vor Corona schwierig, wenn ich alleine im Jugendzentrum war, den Kontakt zu den Jugendlichen zu intensivieren und die Zeit auch mal für ein längeres Gespräch zu nutzen. Ich kann mich ja nicht drei- oder vierteilen und zukünftig nebenbei auch noch auf die Einhaltung der Auflagen achten. Aus meiner Sicht ist das fast nicht machbar. Und wie handhaben wir den Einlass, wenn sich nur wenige Jugendliche gleichzeitig in den Räumlichkeiten aufhalten dürfen? Wer darf rein? Diejenigen, die zuerst da sind? Gibt es pro Person ein Zeitkontingent oder staffeln wir nach Altersgruppe? Die Frage ist tatsächlich, wie wir das fair regeln können. Mir ist bewusst, dass das auch viel Ärger geben wird. Solche Gedanken treiben uns um. Eigentlich total verrückt all das, aber man muss trotzdem darüber nachdenken.

Der Bayerische Jungendring (BJR) hat Empfehlungen zur Erstellung eines Gesundheits- und Hygienekonzepts ausgearbeitet. Das muss dann auch jeweils auf die entsprechende Einrichtung umgemünzt werden, weil jede Einrichtung anders ist bezüglich ihrer Räumlichkeiten, ihrer Ausstattung, Möglichkeiten etc. Und wie ich das mitbekommen habe, wird eine Öffnung der Jugendzentren nach den Pfingstferien angestrebt. Es ist ein Gefühl da, dass etwas passieren könnte, aber letztendlich ist das nichts Konkretes. Man kann nur auf das Thema aufmerksam machen. Mehr geht da leider nicht. Ich kann es aber auch verstehen, dass es Bereiche gibt, die wesentlich essentieller oder systemrelevanter sind, wie man so schön sagt, und deswegen stehen wir als Freizeiteinrichtungen bei diesen Entscheidungen etwas hinten an. Im Gegensatz zu meinem Kollegen Tim, der in der Streetwork unterwegs ist. Er ist seit drei Wochen wieder als systemrelevant eingestuft und hat seine Arbeit wieder aufgenommen.

Was ist mit eurem Programm für die Pfingst- und Sommerferien?

Das Pfingstferienangebot bei uns im Jugendzentrum ist abgesagt. Wir hätten einen Schmuck-Kurs für Kinder zwischen 6 und 11 Jahren angeboten, eine Tagesfahrt zum Europa-Park, ein Virtual-Reality-Projekt für Kinder und Jugendliche und wir hatten einen mobilen Escape Room geplant. All das ist abgesagt und teilweise auf einen späteren Zeitpunkt verschoben. Stattdessen bietet der Kreisjugendring ein eigenes Ferienprogramm an, da gibt’s auch ein Offline-Ferienprogramm: Die Kinder dürfen sich in der Geschäftsstelle Bastelpakete abholen und dann zuhause anhand einer Anleitung basteln. Dann wird es Webinare zu verschiedenen Themen geben, die von Kolleg*innen aus anderen Einrichtungen durchgeführt werden. Uns fehlt dafür alleine schon die technische Ausstattung. Wir helfen uns aber untereinander aus. Andere Einrichtungen sind personell stärker aufgestellt und haben einen Medienpädagogen, der solche Angebote bereitstellt.

Ende April hätte im Jungen Theater Augsburg ein Theaterstück zu Hatespeech aufgeführt werden sollen. Wir hätten – auch während der Pfingstferien – zusätzlich zum Theaterbesuch weitere Projekte für Kinder und Jugendliche zum Thema angeboten. Hatespeech ist aus meiner Sicht ein sehr wichtiges, aktuelles Thema. Wir werden das hoffentlich zu einem späteren Zeitpunkt nachholen können.

Und bezüglich der Planung für die Sommerferien stehen wir unter anderem auch vor dem Problem, dass wir viel mit Ehrenamtlichen zusammenarbeiten und wir immer häufiger die Rückmeldung bekommen, dass sie voraussichtlich nicht von ihrem Arbeitgeber freigestellt werden. Und zugleich wissen wir ja auch gar nicht, was durchführbar ist und wenn ja unter welchen Auflagen. Ich würde mir eine klare Ansage von oben wünschen: Was darf unter welchen Auflagen stattfinden. Und dann könnten wir entsprechend planen. Dann wüssten die Kinder und Jugendlichen mit ihren Eltern Bescheid. Ich denke, dass es durchaus andere Bereiche gibt, in denen es notwendiger war, relativ schnell Entscheidungen zu treffen und das dann auch zu priorisieren, aber jetzt langsam könnte man auch in der Jugendarbeit wieder für klarere Verhältnisse sorgen.

Ich glaube nicht, dass Zeltlager im Sommer stattfinden können, ich lasse mich aber gerne überraschen und fände es wirklich schön, wenn es doch möglich wäre. Unsere Zeltlager sind jedes Jahr ausgebucht. Wenn wir jetzt die Gruppengröße deutlich reduzieren müssten, dann gibt es zum einen das Problem, wer dann mitkommen darf, und zum anderen die Kostenfrage. Wobei man bei Gemeinnützigkeit nicht das Finanzielle in den Vordergrund stellen muss. Wenn wir – sagen wir – nur halb so viele Teilnehmer wie sonst üblich mitnehmen dürfen, dann rechnet sich das nicht mehr.
Wir haben es auch immer sozial Schwächeren ermöglicht für einen geringeren Betrag mitzukommen und gleichen durch Einnahmen bei anderen Aktionen, durch den offenen Betrieb im Jugendzentrum und auch durch Spenden wieder aus. Es gibt ja auch Rücklagen und für ein Jahr lässt sich das schon bewerkstelligen. Aber dennoch können wir die Frage nach den Kosten nicht völlig außer Acht lassen.

Was ist dir noch besonders wichtig?

Ich möchte nochmal auf unsere Jugendlichen zu sprechen kommen. Diejenigen, die jetzt wieder in die Schule gehen, haben es wieder etwas leichter, ihren Alltag zu strukturieren. Vor allem auch die in den Abschlussklassen und die sich auf die Prüfungen vorbereiten. Und für sie ist die Situation aus meiner Sicht dann etwas leichter, als für diejenigen, die nach wie vor in der Luft hängen, die uns ansprechen und sagen, wie langweilig ihnen ist und sie nicht wissen, was sie mit ihrer Zeit anfangen sollen. Ich kann sie gut verstehen. Viele unsere Jugendlichen leben in sehr beengten Wohnverhältnissen, zu viert oder fünft in einer Drei-Zimmer-Wohnung mit mehreren Geschwistern in einem Zimmer. Das ist nicht so einfach. Für sie war das Jugendzentrum ein wichtiger Ort.
Sie fragen uns ständig, wann wir wieder öffnen. Das wissen wir ja leider nicht. Was wir aber wissen, dass die Wiedereröffnung nur unter vielen Auflagen möglich sein wird und wir uns alle mit den neuen Gegebenheiten auseinandersetzen müssen.
Wichtig erscheint mir, dass jetzt Entscheidungen getroffen werden, damit wir wieder wissen, wie wir weiter planen können. Es ist aus meiner Sicht auch wirklich wichtig, alle Gruppen der Gesellschaft mit zu bedenken.

 

Interview: Juliane Schwab

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