Von Valentine Auer
Würde statt Demütigung. Dafür plädiert die Diskursteilnehmerin und Philosophin Asya Markova, wenn es um Migrationsdebatten geht. Asya Markova ist in Bulgarien geboren und aufgewachsen, promovierte dort 2014 zum Thema Würde Ihre Dissertation „Würde und menschliche Fähigkeiten. Normative Orientierungen für einen würdevollen Umgang mit Menschen mit geistigen Behinderungen“ erschien 2017 als Buch mit gleichnamigem Titel in bulgarischer Sprache. und lebt derzeit in München. Ihr Wunsch für eine zeitgemäße Migrationspolitik: Das Besinnen auf den Begriff der Würde.
Eine Art Herkunftsfixierung. So nennt Asya Markova eines der zentralen Probleme in puncto Integration. Menschen mit Migrationshintergrund werden als defizitäre Gruppe pauschal konstruiert, auf die Religion oder Herkunft reduziert und nicht als Individuen wahrgenommen, die wie alle Menschen vielfache Identitäten besitzen. Oftmals reicht für diese Wahrnehmung ein ungewohnter Name aus, wie sich das laut Markovas Beobachtungen beispielsweise beim Eintritt in die Schule zeigt: Immer wieder kommt es vor, dass Kindern, die keinen deutschen Familiennamen haben, empfohlen wird, zusätzlichen Deutschunterricht zu besuchen. Nicht aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse, denn sie sind in Deutschland geboren, ihre Muttersprache ist Deutsch. Ihr Name scheint es jedoch nicht zu sein.
Dieses Beispiel, aber auch die Integrationsmaxime „Fördern und Fordern“, die eine zentrale Stellung im bayerischen Integrationsgesetz einnimmt (siehe auch: Der Integrationsbegriff im Bundes- und Landesrecht: Eine Analyse), zeige, dass „Defizite sogar denjenigen unterstellt werden, die hier geboren sind, aber einen ‚Migrationshintergrund‘ besitzen, der als dauerhafter Sozialisationsdefekt wahrgenommen wird. Dadurch wird eine kollektiv-homogene Identität aller Menschen konstruiert, die keine ‚reine‘ deutsche Herkunft haben und sie werden oft zu Objekten von ungerechtfertigten Anpassungsforderungen und paternalistischen Fördermaßnahmen gemacht“, sagt Markova.
Weg von Demütigung und Diskriminierung
Ein weiterer Aspekt, der einer solchen Förderung und Forderung von Integration innewohnt, – so Markova weiter – ist die Demütigung. Politische und mediale Debatten, die Migration als Problem und Belastung für eine Gesellschaft verstehen, befördern dieses Demütigungsgefühl, das viele Migrant*innen erleben. „Nicht nur Migrant*innen erfahren Situationen, in denen sie Hilfe in Bezug auf Wohnen, Arbeit oder Bildung brauchen. Aber natürlich benötigen Menschen, die in ein für sie neues Land auswandern, verstärkt solche Hilfeleistungen. Dies rechtfertigt aber keineswegs die permanente mediale Darstellung von Migrant*innen als eine homogene Gruppe, die dauerhaft hilfe- und lernbedürftig ist. Es braucht in Deutschland eine Sensibilität dafür, wie demütigend die Rede von Integration als Defizitüberwindung für etwa ein Fünftel der Bevölkerung hierzulande ist“, so Markova.
Wird diese Demütigung und Diskriminierung wiederholt erlebt und gefühlt, beobachtet Markova drei mögliche Reaktionen der Betroffenen: Die Entstehung von Ressentiments gegenüber der deutschen Gesellschaft oder aber übertriebene Anstrengungen zur Anpassung. Letzteres kann auch zur Abgrenzung gegenüber anderen migrantischen Communities führen, die dieser Assimilation nicht folgen. Die dritte Art mit Demütigung umzugehen, ist sich den defizitären Fremdzuschreibungen argumentativ und öffentlich zu widersetzen. Für Markova die vernünftige Lösung, die es zu unterstützen gilt.
Hin zur praktischen Anerkennung der Würde von Migrant*innen und Geflüchteten
Doch genau diese Lösung wird dann verunmöglicht, wenn ein vernünftiger und gewaltfreier Widerstand von Migrant*innen gegen demütigende Anpassungsforderungen nicht zugelassen wird. Für Markova ein Grund, weshalb der Begriff der Würde dringend stärker in den Fokus gerückt werden muss. Menschliche Würde äußert sich in diesem Widerstand gegen Demütigungen, gegen Unterdrückung von Selbstbestimmung. Zwar spielt der Begriff der Würde eine tragende Bedeutung in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und in vielen nationalen Verfassungen – so auch im deutschen Grundgesetz -, aber er bleibt abstrakt, wenn sein Entstehungskontext in Widerstandshandlungen gegen Demütigung und Diskriminierung nicht mitgedacht wird. In solchen Handlungen zeigt sich das Wesen der Würde als universeller Grundwert: „Würde ist das Wissen jedes Individuums von seinem eigenen Selbstwert und von seiner Gleichwertigkeit in Bezug auf alle anderen menschlichen Individuen“, sagt Markova.
Notwendig sei daher der Blick auf eine Gesellschaft, in der alle Menschen ein würdevolles Leben verwirklichen können. Instrumente dafür liefert der Inklusions-Ansatz, der von einer Pluralität der Lebensweisen und Lebensentwürfe ausgeht. Er basiert – im Gegensatz zu den derzeitigen Integrationsdebatten – nicht „auf einseitigen Forderungen an Migrant*innen und auf ihrer Förderung zur Anpassung an die existierenden gesellschaftlichen Strukturen, sondern primär auf der Veränderung der gesellschaftlichen Institutionen und ihrer Öffnung für den Normalzustand der Diversität“, sagt Markova. Zu fragen wäre daher nicht, wie sich Menschen an bestehende Strukturen anpassen können, sondern – umgekehrt – wie gesellschaftliche Strukturen an die Menschen angepasst werden können.