Von Pflegerobotern und künstlicher Intelligenz: Experten diskutieren in München

11 Jul 2018
Von Pflegerobotern und künstlicher Intelligenz: Experten diskutieren in München

„Die elektronische Gesundheitskarte wird nie kommen.“ Davon ist Mediziner Sebastian Kuhn überzeugt. „Die Chipkarte ist überholt, wenn man sieht, wie Amazon seine Daten holt. Ich bin gespannt, wann das auch die Politiker merken.“

Die Akademie für Politische Bildung in Tutzing hat gemeinsam mit dem Zentrum Digitalisierung.Bayern zum Podiumsgespräch im Pädagogischen Institut München eingeladen. Sebastian Kuhn diskutiert mit der Informatikerin Karoline Busse, der Juristin Mirka Möldner und dem Soziologen Stefan Selke über die Digitalisierung der Gesundheit. Ein Thema von höchster gesellschaftlicher Relevanz. Die intelligente Verknüpfung von Daten könnte die gesamte Medizin revolutionieren. Schon jetzt vernetzen sich immer mehr Krankenhäuser, die Forschung experimentiert mit Pflegerobotern und Ärzte versuchen mit Telemedizin entlegene Regionen zu versorgen. Das Interesse, etwa 100 Menschen verfolgen das öffentliche Gespräch, das Wissenschaftsjournalist Christoph Koch vom Stern souverän moderiert.

„Das Gesundheitssystem ist rechtlich komplex“, erklärt Mirka Möldner vom Bayerischen Landesamt für Datenschutzaufsicht. Deutschland ist anders als Estland oder Finnland noch nicht komplett durchdigitalisiert. Und es sei auch noch ein weiter Weg, sagt Möldner. Sie verteidigt das viel gescholtene neue Datenschutzgesetz. Das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen über seine Daten stehe im Mittelpunkt.

„Pilotversuch für die Welt“

Die Industrie hat das Thema längst für sich entdeckt, sagt Unfallchirurg Sebastian Kuhn. Apple will beispielsweise die Gesundheitsversorgung für seine Mitarbeiter selbst übernehmen. Der Konzern plant eigene Kliniken, zudem werden die Daten der Angestellten per App erfasst, gespeichert und analysiert. So können drohende Krankheiten schon im Vorfeld erkannt werden. „Das spart 30 Prozent der Kosten ein“, fasst Kuhn zusammen. Das klingt nach Dave Eggers düsterer Fiktion „The Circle“, in der eine große Internetfirma durch die Überwachung der Mitarbeiter soziale Kontrolle erzeugt. Netzaktivistin Karoline Busse sieht Apples Pläne kritisch. Denn Arbeitnehmer könnten durch diese Gesundheits-Versorgung auch Nachteile haben. Wenn psychische Krankheiten auf einmal bekannt sind, „dann bekommt der Arbeitgeber auf einmal die Warnung, dieser Arbeitnehmer ist depressiv, besser nicht einstellen“, so Busse.

„Informierte Ignoranz“

Soziologe Stefan Selke kritisiert den Mangel an Differenzierung. „Wir müssen Digitalisierung, Big Data und künstliche Intelligenz zusammenbringen“. Es gebe tausende Experten, aber keinen für alle Felder. Die große Frage sei doch, warum sich die Menschen auf die neuen Technologien verlassen. Selkes Antwort: Fitnesstracker und Wellness-Apps halten einem den digitalen Spiegel vor. Die Welt wird immer unübersichtlicher, nur der eigene Körper ist beherrschbar.

Für Karoline Busse ist gar nicht so leicht erkennbar, welche App vertrauenswürdig ist, und welche nicht. Der Verbraucher müsse sich immer fragen, welchen Handel er eingeht. Laut der neuen Datenschutzverordnung muss der Anbieter auf eine verständliche Weise erklären, was mit den Daten passiert. Mirka Möldner: „Gerade bei den Gesundheitsdaten handelt es sich um besonders sensible Daten, das heißt man braucht für jede Verarbeitung eine Rechtsgrundlage.“

Künstliche Intelligenz verändert die Medizin

Beispiel Ada Health. Ein Berliner Start Up hat die App entwickelt, die Ratschläge gibt, wenn sich jemand krank fühlt. Etwa 30 Fragen stellt der Assistent, dann erhält der Patient eine strukturierte Analyse und eventuell den Ratschlag, einen Arzt zu konsultieren. So ein System hantiert problemlos mit riesigen Datenmengen und liefert schnelle Ergebnisse. „Das ist besser als googeln“, sagt Mediziner Kuhn. Er ist überzeugt: „Solche Apps und künstliche Intelligenzen werden kommen, weil Patienten sie nutzen.“ Jetzt müsse man die Ärzte mitnehmen und ihnen das Handwerkszeug übermitteln. Ansonsten übernehme die Industrie.

Stefan Selke spricht von einer „ethische Freihandelszone“. In einer Studie an der Uni Furtwangen hat er untersucht, an welchen ethischen Standards sich Entwickler solcher Programme ausrichten. Ergebnis: Es gibt keine einheitlichen Standards, sondern vielmehr ein „kontextbezogenes Ausprobieren“. Die Menschen gehen zu sorglos mit ihren Daten um, sagt Informatikerin Karoline Busse: „Wir hatten immer die Hoffnung, dass Katastrophen die Menschen aufrütteln.“ Als Edward Snowden beispielsweise offengelegt hat, wie Geheimdienste die Bürger durchleuchten. Oder als dieses Jahr Millionen Nutzerdaten von Facebook bei Cambridge Analytika gelandet sind. „Doch all das hat offensichtlich keinen Diskurs ausgelöst“, so Busse.

Gesundheitsdaten sind besonders sensibel. „Wir befinden uns in einer Situation, in der grundlegende Fragen neu gestellt werden“, sagt Juristin Mirka Möldner. „Wir werden uns Zeit nehmen müssen, um die Weichen neu zu stellen.”

Von Anna Küch

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