Ein gutes Miteinander vor Ort – Teilhabe und Beteiligung

19 Jan 2020
Ein gutes Miteinander vor Ort - Teilhabe und Beteiligung
Pixabay CCO / Michal Jarmoluk

Kommunen nehmen eine zentrale Rolle dabei ein, Teilhabe zu ermöglichen und Zusammenhalt zu gestalten. Denn Integration – bezogen auf alle Gesellschaftsmitglieder mit ihren je unterschiedlichen Hintergründen – findet vor allem vor Ort statt. Wie ein gutes Miteinander vor Ort aussehen kann und vor welche Herausforderungen die Kommunen hinsichtlich der Teilhabe und Beteiligung der vor Ort lebenden Menschen gestellt sind, das skizzieren die Kurzinterviews mit den Beirät*innen des Diskurses und mit Florian Wenzel, der als Referent zu Gast beim ersten Workshop war.

„Die Kommune ist ein Ort, an dem Politik wesentlich nahbarer gestaltet werden kann“

Dr. Christian Boeser-Schnebel

Christian Boeser-Schnebel ist Akademischer Oberrat am Lehrstuhl für Pädagogik mit Schwerpunkt Erwachsenen- und Weiterbildung an der Universität Augsburg. Er ist Leiter des Netzwerks Politische Bildung Bayern und Initiator eines Argumentationstrainings, in welchem es um die grundsätzliche Dialogfähigkeit unserer Gesellschaft gerade auch bei politischen Themen geht.

Herr Boeser-Schnebel, was macht ein gutes Miteinander vor Ort aus?

Ein gutes Miteinander vor Ort – ob nun in den kleinen sozialen Beziehungen, also Partnerschaft, Familie, Kollegen- und Freundeskreis oder aber auch in größeren Strukturen wie Dorf, Gemeinde, Stadt – basiert letztlich darauf, dass man sich immer wieder die Frage stellt, wie das Zusammenleben gestaltet werden muss, dass sich alle einigermaßen wohlfühlen. Und dafür muss ich zwei Dinge tun: Ich muss dem anderen sagen, was ich brauche, um mich wohlzufühlen. Und ich muss mich dafür interessieren, was der andere braucht, um sich wohlzufühlen. Und im Idealfall lässt sich dann mit diesem Wissen über seine und meine Interessen, Bedürfnisse und Werte, ein Modus des guten Zusammenlebens finden.

Kurz gesagt bedeutet ein gutes Miteinander vor Ort, dass ich das Recht auf freie Entfaltung beim anderen und auch bei mir selbst respektiere. Und dass ich selbiges auch vom anderen erwarten kann.

Worin sehen Sie zentrale Aufgaben der Kommunen, Teilhabe und Zusammenhalt zu gestalten?

Schaut man sich Vertrauensrankings an, welchen Berufsgruppen man vertraut, dann finden sich Politiker immer ganz unten, ihnen wird am wenigsten Vertrauen entgegengebracht. Deutlich höheres Vertrauen genießen die Bürgermeister. Und die Kommune ist offenbar ein Ort, an dem Politik auch wesentlich nahbarer gestaltet werden kann, weil es auch wirklich das unmittelbare Lebensumfeld betrifft. Mit Blick auf die anstehende Kommunalwahl scheint mir die Beteiligungsförderung der Kommune etwas ganz zentrales, weil ich da auf einer Ebene, die mich ganz direkt und ganz alltäglich betrifft, lernen kann, wie mit ganz unterschiedlichen Menschen und ihren Interessen und Werten das Zusammenleben gestaltet werden muss und kann. Darin sehe ich durchaus auch einen wichtigen Auftrag politischer Bildung in Kooperation mit kommunalen Strukturen.

Es geht dabei auch um ein Staunenlernen darüber, was es da alles gibt und was da alles funktioniert. Sozusagen eine Kultur der Wertschätzung, die ich auf der kommunalen Ebene auch gegenüber Politik und politischen Prozessen vielleicht sogar leichter mitbekommen kann und die ich idealerweise dann auch auf andere politische Ebenen übertrage. Denn eines der Grundprobleme ist die sehr scharfe Verachtung gegenüber Politikern.

Welche besonderen Herausforderungen sehen Sie für die Jugendbeteiligung in ländlichen Kommunen? Welche Potentiale und Bedarfe gibt es hier?

Zu Jugendbeteiligung allgemein: Viele Beteiligungsformate enden in einer Wunschliste und die Politik sieht sich unter Zugzwang, etwas davon zu erfüllen, um die Beteiligten nicht zu frustrieren. Im Sinne der politischen Bildung ist das jedoch sehr heikel, weil Politik nicht erst dann erfolgreich ist, wenn ich das durchsetze, was ich möchte, sondern man kann im Falle der Fridays-for-Future-Bewegung sehen, die eine immens erfolgreiche ist, weil sie das Thema Klimaschutz auf die Agenda gesetzt hat. Das Thema ist jetzt wieder präsent und es wird wahrscheinlich auch konkrete Veränderungen geben, auch das Klimapaket der Bundesregierung ist wahrscheinlich dadurch ermöglicht worden. Und trotzdem gibt es noch immer ein Gefühl der Unzufriedenheit und dass das Erreichte noch nicht genügt. Was man in diesen Prozessen immer gut vermitteln muss, ist ein stückweit Frustrationstoleranz und was sich realistisch durch politische Prozesse erreichen lässt.

Wir haben jetzt völlig unerwartet auf einmal wieder jüngere Menschen, die sich wirklich politisch engagieren, die auf die Straße gehen – sie sind sichtbar auf dem Land und vor allem in den Städten – und es dazu nur die Initialzündung einer jungen Frau gebraucht hat. Auf einmal tut sich da etwas. Und dann ist die spannende Frage der Verantwortlichen, wie damit umzugehen ist. Es gab verschiedene Strategien von Umarmen bis Arroganz. Wirklich wichtig ist, dass die Verantwortlichen die jungen Menschen ernst nehmen, aber ihnen auch eigene Interessen und Bedürfnisse mitteilen. Und damit in die offene Auseinandersetzung gehen. Es geht nicht darum, den Schongang einzulegen, weil man möglicherweise junge Leute frustrieren könnte, wenn nicht alle Forderungen sofort erfüllt werden.

Was war Ihr persönlicher Einstieg in die politische Beteiligung?

Als Schüler hat mich ein Sozialkundelehrer, der sehr scharfe Thesen vertreten hat und der u.a. den Atombombenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki legitimierte, mehrfach herausgefordert. Dann kam auch noch Tschernobyl, das mich auch persönlich sehr berührt hat, und ich irritiert war, dass es viele meiner Mitschülerinnen und Mitschüler eher kalt gelassen hat. Meine erste Wirksamkeitserfahrung war dann, als ich mit einem Mitschüler nachts in unsere Schule eingebrochen bin. Wir hatten ein Fenster offen gelassen, so dass nichts beschädigt wurde, und haben überall Plakate und Transparente aufgehängt mit unseren politischen Positionen. Für den Frieden und gegen Atomenergie – ganz kurzgefasst.

Und das Schöne war tatsächlich, dass am nächsten Tag sowohl die Schüler als auch die Lehrer wussten, dass wir es waren. Auch die Polizei war da. Wir wurden nicht verraten, auch nicht von dem Sozialkundelehrer, das war schon interessant. Die Anzeige wurde gegen Unbekannt gestellt.

„Es ist wichtig, Jugendlichen das Gefühl zu geben, dass sie aktiv ihre Kommune mitgestalten können“

Copyright: Martin Neuhof

Tobias Burdukat

Tobias Burdukat ist Sozialarbeiter (B.A.). Er absolviert derzeit ein Masterstudium der Sozialen Arbeit an der HTWK Leipzig und hat einen Lehrauftrag an der Hochschule Mittweida zum Schwerpunkt Offene Kinder- und Jugendarbeit und Jugend im ländlichen Raum. Er hat davor über mehrere Jahre die Projektkonzeption “Dorf der Jugend” entwickelt und in Grimma erfolgreich initiiert. Zudem war er als Stadtrat in Grimma und als Kreistagsmitglied im Landkreis Leipzig tätig.

Herr Burdukat, was macht ein gutes Miteinander vor Ort aus?

Zu einem guten gesamtgesellschaftlichen Miteinander gehört ein respektvoller Umgang. Das gilt für alle, die sich der Gesellschaft zugehörig fühlen. Wenn Gruppen ausgegrenzt werden und hegemoniales Verhalten entsteht, ist ein gutes gesellschaftliches Miteinander nicht mehr möglich.

Zum Beispiel greift gegenüber Jugendlichen flächendeckend eine Art Hegemonie seitens der Erwachsenen. Jugendliche werden nicht als vollwertige Mitglieder der Gesellschaft akzeptiert. Dadurch entstehen abwertende Diskurse, was dazu führt, dass Jugendliche an einem bestimmten Punkt keinen Bock mehr haben und Erwachsenenwelten verlassen. Deswegen ist ein respektvoller Umgang miteinander sehr wichtig.

Worin sehen Sie zentrale Aufgaben der Kommunen, Teilhabe und Zusammenhalt zu gestalten?

Aufgrund meiner persönlichen Erfahrung würde ich sagen. dass es vonseiten der Kommune wichtig wäre, Räume zur Verfügung zu stellen – im Sinne von: Möglichkeiten zur Teilhabe eröffnen. Die Kommune unterstützt aktiv, Teile der Gesellschaft zusammenzuführen, sie organisiert und ermöglicht das, ist aber nicht unbedingt selbst Teil davon. Das hat nichts mit den offiziellen Gremien der Stadt zu tun, also mit dem Stadtrat bzw. mit der Stadt- oder Kommunalverwaltung als Behörde, sondern es geht einfach nur darum, Möglichkeiten der Begegnung zu schaffen. Da könnte die Kommune einen großen Beitrag leisten. Dann müssen diese Angebote seitens der Bürgerinnen und Bürger auch wahrgenommen werden. Aber das ist dann noch einmal eine andere Frage.

Welche besonderen Herausforderungen sehen Sie für die Jugendbeteiligung in ländlichen Kommunen? Welche Potentiale und Bedarfe gibt es hier?

Es ist es wichtig, dass man relativ früh damit anfängt, Jugendlichen das Gefühl zu geben, dass sie aktiv ihre Kommune mitgestalten können. Denn häufig sind Jugendliche ja aufgrund von Ausbildung oder Studium dazu gezwungen, nach ihrem Schulabschluss erst einmal den ländlichen Raum zu verlassen. Wenn man möchte, dass sie nach Beendigung ihrer Ausbildung oder ihres Studiums wieder zurückkehren, dann ist es ganz wichtig, dass sie vorher das Gefühl der aktiven Mitgestaltung gehabt haben. Das gehört ja auch zur Fragestellung des aktuellen Diskursprojektes, wie man Beteiligungsforen schafft. Machbar ist dies aus meiner Sicht durch die offene Kinder- und Jugendarbeit als Teil unseres Sozialsystems, als Teil des SGB VIIIDas Achte Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) beinhaltet die bundesgesetzlichen Regelungen zur Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland.. Man muss nicht zwingend neue Foren schaffen, man könnte eigentlich schon auf die vorhandenen Regelungen zurückgreifen. Wenn das flächendeckend ermöglicht wird und Jugendliche wirklich aktiv mitgestalten können, dann ist das zu schaffen.

Meist fragen Kommunalverwaltungen bei Jugendlichen an, wenn es um Baumaßnahmen geht – etwa von einem Spielplatz oder einer Straße. Den Jugendlichen geht es aber hauptsächlich darum, wie sie ihre Freizeit selbstbestimmt gestalten oder ob sie z.B. die Räumlichkeiten und Aktivitäten ihrer Schule mitgestalten können. Sobald die Jugendlichen aktiv Gestaltungsmöglichkeiten bekommen, schafft man tatsächliche Beteiligung und Mitwirkung. Das Potential der Jugendlichen muss aktiv angefragt werden. Sie fühlen sich zumeist von Erwachsenen nicht ernst genommen. Umso wichtiger ist es, dass Erwachsene und eben auch die Kommunalverwaltungen aktiv auf die jungen Menschen zugehen. Und das geht am besten über die offene Kinder- und Jugendarbeit, über die Sozialarbeiter, die es aber leider in ländlichen Räumen immer weniger gibt.

Was war Ihr persönlicher Einstieg in die politische Beteiligung?

Ausgangspunkt war das Dilemma, dass weder die Jugend noch die Soziale Arbeit eine wirkliche Lobby in der Politik haben. Große Wohlfahrtsverbände nehmen häufig die Lobby von Sozialer Arbeit wahr; diese sind in den ländlichen Räumen eher weniger aktiv, sondern agieren auf einer ganz anderen Ebenen, was häufig bei der direkten praktischen Arbeit gar nicht mehr ankommt. Das war tatsächlich meine Motivation, mich selbst als Sozialarbeiter in die Kommunalpolitik mit einzubringen.

Und zur Sozialen Arbeit bin ich gekommen, weil ich bereits als Jugendlicher selber schon Veranstaltungen organisiert habe und in dem Bereich aktiv war und dadurch eben festgestellt habe, dass die Jugend eigentlich nicht wahrgenommen wird von der politischen Ebene und diese Erfahrung hat sich dann auch in meiner Arbeit als Sozialarbeiter weiter bestätigt.

Als Jugendliche haben wir immer kreative Lösungsmöglichkeiten gefunden, auch Unmögliches zu schaffen und umzusetzen. Aus heutiger Sicht würde ich sagen, dass die Teilhabe in der kommunalen Politik zum Teil eher hinderlich war für diese kreativen Prozesse aufgrund diverser Abhängigkeiten, die dadurch entstehen. Meine persönliche Erfahrung war, nicht mehr so kreative Lösungen zu finden als ich in Stadt- und Kreisrat aktiv war. Teilweise habe ich mich zu sehr auf die Strukturen verlassen, statt weiter an anderen Lösungen zu arbeiten. Die Strukturen sind aber ganz schön bürgerunfreundlich.

„Es braucht oft neue Formen der Beteiligung“

Copyright: Christian Hanner

Dr. Katja Niethammer

Katja Niethammer leitet das Amt für Migration und Integration in Freiburg. Zuvor war sie für das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, Genf, in Auslandsmissionen im Irak, im Tschad und in Jordanien. Nach ihrem Postdoc an der Georgetown University war sie Professorin für Islamwissenschaft an der Universität Hamburg und übernahm Lehrstuhlvertretungen in Berlin und Göttingen.

Frau Niethammer, was macht ein gutes Miteinander vor Ort aus?

Ein gutes Miteinander vor Ort entsteht dann, wenn alle sich gehört fühlen. Was relativ einfach klingt, ist aber gar nicht so einfach zu organisieren. Das ist die Krux an der Sache.
Hier in Freiburg haben wir hinsichtlich der Beteiligung – ob nun von Jugendlichen oder anderen gesellschaftlichen Gruppen – die Erfahrung gemacht, dass es oft neue Formen braucht und dass sehr formalisierte Strukturen, die sich an Verwaltungsstrukturen anlehnen, nicht so gut funktionieren. Daher versuchen wir tatsächlich, immer neue und niederschwelligere Formen zu entwickeln, damit sich auch politik- und verwaltungsfremde Menschen angesprochen und gehört fühlen und sich in die Prozesse einbringen.

Worin sehen Sie zentrale Aufgaben der Kommunen, Teilhabe und Zusammenhalt zu gestalten?

Seitens des Amtes für Migration und Integration haben wir zum Beispiel im zurückliegenden Jahr einen großen Beteiligungsprozess zum Leitbild Migration und Integration der Stadtgesellschaft Freiburg mit dem Titel „Wir in Freiburg“ gestartet. Das Leitbild wurde im November öffentlich vorgestellt und geht jetzt zur Verabschiedung in den Gemeinderat. Im Rahmen des Beteiligungsprozesses haben wir zum einen die Bürgerinnen und Bürger offen zu verschiedenen Workshops, die World-Café-Charakter haben, eingeladen und zum anderen haben wir per Zufall ermittelte Bürgerinnen und Bürger persönlich angeschrieben und eingeladen. Ab 16 Jahre konnte man sich beteiligen, da wir hier kommunales Wahlrecht ab 16 haben. Das persönliche, vom Oberbürgermeister unterzeichnete Anschreiben hat die Leute positiv überrascht und zu wirklich guter Beteiligung – auch unter Jugendlichen – an den Veranstaltungen geführt. Auch wenn das Interesse im Laufe des Prozesses dann etwas nachgelassen hat. Ich glaube, das sind Wege, die man einfach ausprobieren muss.

Ein weiteres Beispiel wäre der sogenannte Achterrat. Im achten Schuljahr ist in Baden-Württemberg „Demokratie“ das übergeordnete Thema. Das Konzept ist schulübergreifend angelegt und umfasst Werkrealschule, Realschule und Gymnasium. Jährlich werden andere Schulen ausgewählt und die Schülerinnen und Schüler arbeiten dann gemeinsam an ausgewählten Themen. Sie erarbeiten eigene Vorschläge und diskutieren kommunalpolitische Themen mit Gemeinderätinnen und –räten während des gesamten Schuljahres. Das ist einer der Versuche, über die Anbindung an die Schule auch junge Menschen anzusprechen, die man sonst nicht erreicht. Man darf es nicht überhöhen, aber es ist ein ganz wichtiger Ansatz. Gerade auch über öffentliche Veranstaltungen erhofft man sich, dass das Engagement und Interesse auch in den Freundeskreis stärker ausstrahlt.

Wir müssen Jugendliche anhören und wollen das auch, gerade auch wenn es um die großen Entwicklungsthemen geht wie etwa Stadtentwicklung und Bauthemen. Die Kommune ist in der Pflicht, sich vorab zu überlegen, wie man diese Stimmen hört und das ist nicht so ganz einfach. Es wird einfach überall so sein, dass diejenigen, die wirklich selber schon politisch engagiert sind oder in Gremien aktiv sind, eher eine kleine Minderheit darstellen und dementsprechend auch für diese sprechen. Die Schwierigkeit ist tatsächlich, ein breites Stimmungsbild der Zielgruppe einzuholen, und gleichzeitig ist es so, wenn man ein nichtgewähltes Gremium hat und einbezieht, dass dieses Vorgehen durchaus Fragen an die demokratische Legitimation stellt. Diesen Zwiespalt muss eine Kommune aushalten, glaube ich.

Welche besonderen Herausforderungen sehen Sie für die Jugendbeteiligung in ländlichen Kommunen? Welche Potentiale und Bedarfe gibt es hier?

Im ländlichen Raum ist Jugendbeteiligung im Vergleich zur Stadt leichter und schwerer zugleich.  In ländlichen Gebieten gibt es natürlich die rein praktischen und organisatorischen Schwierigkeiten, was z.B. den fehlenden öffentliche Nahverkehr angeht, wenn man so große Beteiligungsformate anbieten will. Aber gleichzeitig ist es ja doch so, dass Jugendliche im ländlichen Raum noch stärker in Vereinen engagiert sind und dadurch formale Strukturen gegeben sind, mit denen man besser arbeiten kann. Das gibt es so nicht in der Stadt, wo alle eher vereinzelt leben, deshalb haben wir auch den Zugang über die Schulen gewählt.

Was war Ihr persönlicher Einstieg in die politische Beteiligung?

Meine erste Demo als Schülerin war gegen die Startbahn West in Frankfurt und ich glaube, das lag vor allem daran, dass die coolen Mitschüler mitdemonstriert haben. Aus meiner Sicht waren die 80er Jahre eine Phase, in der die Jugend noch relativ politisiert war, wobei man sagen muss, dass die Bewegung Fridays for Future ja auch einen sehr großen Zulauf hat.
Als junge Studentin begann dann meine eigentliche politische Beteiligung. Ich habe mich in NGOs engagiert und war einige Jahre bei einer Initiative gegen Abschiebehaft aktiv, habe die Häftlinge besucht und politische Mahnwachen vor dem Gefängnis organisiert. Also es war ein recht klassischer Einstieg in die politische Beteiligung wie vermutlich bei vielen in meiner Generation.

„Ein gutes Miteinander zeigt sich am gemeinsamen Tun“

Florian Wenzel

Florian Wenzel ist selbständiger Moderator und Prozessbegleiter im Bereich des Demokratie-Lernens. Er ist Inhaber der Plattform peripheria – Bildung und Begegnung. Des Weiteren ist er als Vorstand des Vereins “interpunktionen – Wir versetzen Zeichen für Demokratie” tätig und hat das Projekt “Dorfgespräch” initiiert und umgesetzt.

Herr Wenzel, was macht ein gutes Miteinander vor Ort aus?

Der „Dorfpapst“ Gerhard HenkelGerhard Henkel ist Humangeograph und emeritierter Professor der Universität Duisburg-Essen. Einer seiner Schwerpunkte liegt im Bereich der Land- und Dorfentwicklung. spricht immer von der Anpackkultur auf dem Land. Wenn ich das auf mein Dorf beziehe, dann sehe ich auch, dass unterschiedliche Leute aus dem Dorf immer noch gemeinsam etwas anpacken und tatsächlich etwas tun. Ob das nun im Sportverein ist, beim Zeltaufstellen für das Dorffest oder beim Organisieren des Weihnachtsfestes. Das ist wirklich die Stärke des Dorfes. Das macht für mich ein gutes Miteinander aus, das sich sozusagen am gemeinsamen Tun zeigt.

Worin sehen Sie zentrale Aufgaben der Kommunen, Teilhabe und Zusammenhalt zu gestalten?

Die Kommunen sind demokratisch legitimiert, jedenfalls Gemeinderat und Bürgermeister, und sie haben Zugang zu Finanz- und Fördermitteln. Ich sehe sie in einer Brückenfunktion oder als diejenigen, die sich als Moderatoren im besten Sinne verstehen, um Beteiligungsprozesse zu steuern und zu begleiten und diese durchaus auch mit Budgets zu versehen, Stichwort „Bürgerhaushalt“.

Die Kommune kann Teilhabe selbst auch vorleben. Ich denke dabei an die Zeit, als sehr viele Geflüchtete kamen. Da gab es Bürgermeister, die sich ganz bewusst dafür eingesetzt haben, dass die Neuangekommen im Dorf sichtbar sind. Sie haben sie wo immer nur möglich beteiligt, um deutlich zu machen: Das ist die Wirklichkeit, in der wir leben und sie bietet viele Chancen.

Welche besonderen Herausforderungen sehen Sie für die Jugendbeteiligung in ländlichen Kommunen? Welche Potentiale und Bedarfe gibt es hier?

Jugendbeteiligung wird oft in Form eines Wunschkonzerts an die Politik inszeniert. Sei es das Jugendparlament oder die Fragebogenaktion, bei der dann rauskommt, dass die Jugendlichen einen Skaterplatz oder einen Jugendtreff, einen McDonald, eine Eisdiele und vielleicht ein Kino möchten. Die Herausforderung wäre aus meiner Sicht dann umzuschalten und zu fragen, was die Jugendlichen schon selbst dazu beitragen können, um ihren Wunsch zu realisieren. Und dass es eher darum geht, dann diese Prozesse zu begleiten und zu unterstützen. Für mich geht es vorrangig um diese Aktivierung. Jugendbeteiligung heißt für mich: Sie sollen selbst gestalten dürfen. Beteiligung eben nicht als Spielwiese innerhalb eines eng gesteckten Rahmens und über etwas mitentscheiden dürfen, wo aber fast schon im Vorhinein klar ist, was dabei rauskommt.

Um das am Beispiel der Fridays-for-Future-Bewegung zu zeigen: Die Essenz dieser Beteiligung bei der Bewegung ist ja der Streik, also eine Intervention in das Gefüge der Mächtigen. Irgendwann stellt sich bei Beteiligung die Machtfrage, wenn ich es ernst meine und es nicht nur um symbolische Beteiligung geht. Und es geht dabei auch um Streit- und Konfliktaustrag. Für den Integrationsforscher Aladin El-MafalaaniAladin El-Mafalaani ist Professor für Erziehungswissenschaften und Inhaber des Lehrstuhls für Erziehung und Bildung in der Migrationsgesellschaft an der Universität Osnabrück. Er ist Autor des Buches Das Integrationsparadox - Warum gelungene Integration zu mehr Konflikten führt. sind Streit und Konflikt, die in der Gesellschaft entstehen, ein Zeichen dafür, dass Integration – und dann eben auch Beteiligung – gelingt, weil Menschen nicht mehr einfach über sich bestimmen lassen, sondern selbst mitbestimmen möchten.

Was war Ihr persönlicher Einstieg in die politische Beteiligung?

Ich war als Jugendlicher nicht klassisch politisch aktiv. Was mich aber schon mein Leben lang begleitet, ist die Frage nach der Gemeinschaft. Ich selbst habe mich oft eher am Rande gefühlt, ob nun im Verein, Kneipe, Großfamilie, Freundeskreis. Ich wollte gerne dazugehören, aber es gelang mir nicht in dem Maße, wie ich es mir wünschte. Später habe ich in der katholischen Erwachsenenbildung interessanterweise dann ein Projekt für Selbsthilfegruppen gemacht „Aufbruch zur Gemeinschaft – Hilfe für aktive Bürger“. Und genau dieses Grundthema der Gemeinschaft, wo Menschen sich in Vielfalt begegnen können und man sich selbst als Teil der Gemeinschaft erlebt, und wie Gemeinschaft gestaltet wird, das würde ich dann doch als politisch bezeichnen.

Interviews: Juliane Schwab

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