„Normalisierung des Miteinanders“

14 Jun 2018
„Normalisierung des Miteinanders“
Erdoğan Karakaya, Foto: Sebastian Haas

Von Valentine Auer

Begegnung schaffen. Ein Begriffspaar, das in puncto Integration immer wieder zu hören ist und auch gefordert wird. Der Islamwissenschaftler und Diskursteilnehmer Erdoğan Karakaya erzählt, wie aus diesen oft verwendeten Begriffen mehr als nur Schlagwörter werden. Seit acht Jahren ist er in der Jugend- und Bildungsarbeit tätig und führt Workshops durch, die sich insbesondere mit dem interkulturellen und interreligiösen Dialog beschäftigen. Im Rahmen seiner Erfahrungen erzählt Karakaya von Möglichkeiten, Begegnungen zu gestalten und so das Miteinander ein Stück weit zu normalisieren.

Jugendliche und junge Erwachsene bewegen sich in einem Raum. Die Blicke zweier Personen treffen sich. Ohne zu sprechen, ohne zu lachen, versuchen sie diesen Blick aufrecht zu halten, die Person wahrzunehmen, ihr zu begegnen. Die zwei Personen gehen aufeinander zu, stehen direkt gegenüber. Sehen sich weiterhin an, versuchen die Bewegungen, die Mimik, die Gestik des Gegenübers nachzuahmen. Immer noch: Ohne zu lachen, ohne zu sprechen.

Bewusstmachung von Stereotypen

Das ist eine der Übungen, mit denen Erdoğan Karakaya im Rahmen seiner Workshops Begegnung unter Jugendlichen und jungen Menschen schaffen will: „Durch den nonverbalen Kontakt sollen die jungen Menschen ihr Gegenüber, von dem sie noch gar kein Wissen haben, wahrnehmen. Denn das Problem ist, dass wir, auch ohne dieses Wissen, auf Basis von Stereotypen kategorisieren. Das geht gleichzeitig mit einer Wertung einher“.

Das kann die Zuschreibung von Menschen mit Bart und einer eher dunkleren Hautfarbe als muslimisch ebenso sein wie die Vorstellung, dass die jeweils andere Religion monolithisch ist. Die tatsächlich bestehende Vielfalt innerhalb einer Religion findet dabei kaum Platz. Die Frage sei, was man mit diesen Vorurteilen macht, erklärt der Islamwissenschaftler und Referent für den christlich-islamischen Dialog der Eugen-Biser-Stiftung. Er selbst setzt in seinen Workshops, die er für Schüler*innen ebenso leitet wie für Lehrer*innen, auf die Benennung von Stereotypen. In einem geschützten Rahmen haben die Teilnehmer*innen die Möglichkeit, sich noten- und wertungsfrei über Vorurteile, über gesellschaftsrelevante – oft komplexe und persönliche – Themen auszutauschen und dabei ihre Sprache und ihr Wissen zu bestimmten Begriffen zu präzisieren.

Das Ziel könne dabei nicht sein, vorurteilsfrei zu werden, sondern bewusster und reflexiver mit eigenen Vorannahmen umzugehen. Eine diversitätssensible Haltung einüben, nennt Karakaya diesen Prozess. Denn das alleinige Bekenntnis zur Vielfalt reicht nicht ohne das entsprechende Handeln, wie Karakaya erklärt: „Die Einsicht, dass man eine Einwanderungsgesellschaft ist und eine faktische Heterogenität besteht, ist kein Garant dafür, dass man gut miteinander umgehen kann. Es benötigt ein Einüben von Begegnung, um Konflikte auszuhalten und führen zu können. Man muss Modi des Aushandelns in heterogenen Gesellschaften finden.“

Schaffung von Räumen und Möglichkeiten

Und um das zu schaffen, braucht es Räume und Möglichkeiten, die allen – und nicht nur einzelnen Multiplikator*innen – zur Verfügung stehen. Trotz gemeinsamer Lebensrealitäten findet Begegnung nämlich nicht statt, erklärt Karakaya: „Mich hat es sehr verwundert, dass junge Menschen unterschiedlicher Konfessionen, die einer Stadtgesellschaft angehören und ähnliche Vorlieben haben, keine gemeinsame Lebenswelt haben.“

Gibt man den jungen Menschen diesen Raum, entstehen oftmals Freundschaften, die jahrelang halten, weiß Karakaya aus seinen Erfahrungen. Doch diese Räume fehlen derzeit noch: „Wenn die Schule die Möglichkeiten bekommen würde, sich solche Räume zu erarbeiten, lernen schon junge Menschen – ohne es benennen zu können – sich diversitätssensibel durch die Gesellschaft zu bewegen und auch gemeinsam zu handeln. Denn in einem demokratischen Staat ist es wichtig, dass alle Akteur*innen die Möglichkeit haben für unterschiedliche Dinge einzustehen, aber auch gemeinsam eine starke Zivilgesellschaft zu bilden.“

Stärkung von Minderheitenverbänden

Teil der Zivilgesellschaft zu werden und sich zu professionalisieren, ist dabei auch ein Wunsch, der an Minderheitenverbände herangetragen wird. Um das zu ermöglichen, brauche es jedoch neue Formen der juristischen Anerkennung. Nach wie vor gilt der Islam nicht überall in Deutschland als anerkannte Religionsgemeinschaft. Muslimische wie auch andere religiöse und weltanschauliche Institutionen zu stärken, sei jedoch ebenfalls zentral, um eine offene Gesellschaft, die auf Begegnung beruht, zu schaffen, so Karakaya: „Durch die Anerkennung erhalten Minderheiten die notwendigen Ressourcen, um sich zu emanzipieren und das nicht, um nur für ihre eigene Sache einzustehen. Ich finde es viel zu kurz gegriffen, wenn sich muslimische Institutionen nur um die Belange von fünf Prozent Muslim*innen kümmern. Sie müssen sich um die Belange von 100 Prozent Gesellschaft kümmern.“

Nicht nur Fragen zum Moscheebau sollen von muslimischen Verbänden angesprochen werden, sondern auch wie Kinderarmut verhindert oder wie Pflege für alte Menschen gesichert werden kann. Kurzum: „Wie schaffen wir es Strukturen mitaufzubauen, die nicht nur Muslim*innen entgegenkommen, sondern allen Mitbürger*innen in einer Gesellschaft. Erst über diesen Weg wird das Zusammenleben alltäglicher, es findet nicht mehr in der Härte statt wie im aktuellen Islamdiskurs. Und erst dann kann eine Normalisierung des Miteinanders erreicht werden“, so Karakaya abschließend.

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