Von Valentine Auer
Anfang März 2018 beschloss der Münchner Stadtrat den Gesamtplan zur Integration von Flüchtlingen. Ein Plan, der bereits bestehende Integrationsmaßnahmen und –projekte darstellt und gleichzeitig weiteren Handlungsbedarf aufzeigt. Als kommunale Koordinatorin der Bildungsangebote für Neuzugewanderte arbeitete die Diskursteilnehmerin Annette Korntheuer an diesem Gesamtplan mit und gibt uns einen Einblick, wie die Stadt München Integration künftig umsetzen will. Als eine der zentralen Neuerungen benennt sie dabei die Miteinbeziehung von besonders vulnerablen Flüchtlingen.
Zwischen dem 1. Januar 2012 und dem 31. Dezember 2016 kamen insgesamt 21.541 Schutzsuchende nach München. Ende 2016 lebten knapp 46.000 Menschen mit Fluchthintergrund in der Stadt. Zum Teil sind diese Menschen jedoch bereits in den 90er Jahren nach Deutschland geflohen. 42 Prozent der Geflüchteten sind weiblich, etwa 1.600 sind unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, flüchteten also ohne ihre Eltern nach München. Tendenziell handelt es sich bei den Schutzsuchenden in München um junge Personen: Bei der Hälfte der Schutzsuchenden handelt es sich um Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 0 bis 24 Jahre. 44 Prozent sind zwischen 25 und 49 Jahre alt.
Diese Personen gilt es „frühzeitig und nachhaltig in die Stadtgesellschaft zu integrieren“, um „ihnen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen“, heißt es im Münchner Gesamtplan. Bereits 2008 entwickelte die Stadt München ein „interkulturelles Integrationskonzept“. Darauf aufbauend soll der Gesamtplan bestehende Integrationsangebote zusammenfassen und Handlungsbedarfe benennen. Zentral sei es dabei, Integration als gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe zu verstehen und nicht als einseitige Anpassung. „Da geht es auch darum, dass die Mehrheitsgesellschaft etwas zu tun hat“, sagt Annette Korntheuer.
Diese fünf Handlungsfelder stehen dabei im Zentrum des Gesamtplans zur Integration: Die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen in Unterkünften sowie die gesellschaftliche Teilhabe im Sozialraum. Bildung und Erziehung für Kinder und Jugendliche bis 16 Jahre. Die Integration durch Beratung, Bildung und Ausbildung mit Deutschspracherwerb für Jugendliche und junge Erwachsene bis 25 Jahre. Qualifizierung und Arbeitsmarkt. Wohnen.
Besonders vulnerable Geflüchtete im Fokus
Eine der zentralen Neuerungen im Gesamtplan ist für Korntheuer die Miteinbeziehung von besonders vulnerablen Geflüchteten. Gemeint sind damit zum Beispiel Frauen mit Kindern, Opfer sexueller Gewalt, LGBT-Personen sowie Schutzsuchende mit Behinderungen. Die Bedarfe dieser Gruppen ziehen sich dabei im Querschnitt durch alle Handlungsfelder: So sollen die Kinderbetreuungsplätze aufgestockt werden, ein städtischer Sprachkurs mit Kinderbetreuung läuft bereits seit einigen Monaten. „Es gibt bundesweite Studienvgl. Kosyakova, 2017; Worbs et al., 2016, die zeigen, dass Frauen viel langsamer in Integrationsangebote und auch in den Arbeitsmarkt kommen als Männer. Insbesondere Frauen mit Kindern sind benachteiligt, weil es zu wenig Kinderbetreuungsplätze gibt“, erklärt Korntheuer.
Zudem sollen Integrationsangebote in den Bereichen Bildung, Arbeitsmarkt und Qualifikation verstärkt an die Bedürfnisse von LGBT-Personen ausgerichtet werden, um ihnen eine diskriminierungs- und angstfreie Lernumgebung zu ermöglichen. Für Sprachkurs-Lehrer*innen gibt es bereits eine Fortbildung zu sexueller Identität. Als nächster Schritt soll in den Sprach- und Integrationskursen ein Modul zum Thema sexuelle Identität installiert werden, an dem die Geflüchteten selber teilnehmen können. Gleichzeitig sind sowohl geflüchtete Frauen als auch LGBT-Personen bei der Unterbringung eine Zielgruppe. So gibt es jetzt eine Wohnform allein für LGBT-Geflüchtete und mehrere Wohnformen für Frauen mit Kindern sowie für Opfer von sexueller Gewalt.
Etwas schwieriger gestaltete sich die Erhebung des Handlungsbedarfes bei Geflüchteten mit Behinderung. Zum Beispiel wenn es um die Förderung im Bildungsbereich geht: „Es ist sehr schwierig zu sagen, wieso jemand eine Lernbehinderung hat. Das kann eine vorübergehende Lernbehinderung aufgrund einer Traumatisierung sein. Das kann aber auch daran liegen, dass die Person noch nie in der Schule war. Manchmal kann man vorerst keine Diagnose stellen“, so Korntheuer. Daher soll das bereits bestehende Projekt „Schule für alle“ ausgebaut werden.
Das Projekt ermöglicht eine Einzelförderung in den Schulen durch Unterstützung von Studierenden. Um auch geflüchteten Schüler*innen mit sonderpädagogischem Bedarf diese Unterstützung vermehrt anbieten zu können, wurden speziell Sonderpädagogik-Studierende angesprochen. Laut Korntheuer könnte zudem eine Fachstelle für Migration und Behinderung in München den Informationsstand an dieser sehr komplexen Schnittstelle von Sozial- und Aufenthaltsrecht verbessern.
Vernetzung und Zentralisierung
Ein weiterer wichtiger Punkt, der durch den Gesamtplan erreicht wurde, ist die Vernetzung einzelner Projekte. „Nach dem sogenannten Sommer der Migration ist so viel spontan entstanden. Jetzt kamen die Menschen, die sich engagieren, ins Gespräch und konnten sich vernetzen“, so Korntheuer. Das sei ein erster wichtiger Schritt. Als zweiter Schritt wird im Gesamtplan die Etablierung einer zentralen bildungsbezogenen Erstanlaufstelle für alle Neuzugewanderten benannt.
Erste Ansätze dafür gibt es bereits: Zum Beispiel die Bildungs-Erstclearingstelle für Geflüchtete über 16 Jahre. Das Ziel: Die Bildungsbiographie der Personen zu erfassen und gleichzeitig den Zugang zum Bildungsangebot der Stadt München zu vermitteln, verstärkt soll dabei auch der sekundäre Bildungsbereich fokussiert werden. Für Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren ist eine ähnliche Anlaufstelle in Arbeit.
Integration von Anfang an
Laut Korntheuer ist der Gesamtplan ein erster Schritt in die richtige Richtung. Nicht zuletzt da die Integrationsmaßnahmen Personen unabhängig vom rechtlichen Status zur Verfügung stehen sollen: „Ein großer Erfolg ist, dass im Gesamtplan festgehalten wird, dass die Stadt München eine Integration von Anfang an will. Dadurch geht die Stadt nicht in eine restriktive Richtung. Auf lokaler Ebene ist es wichtig, dass Menschen von Anfang an integriert werden, weil es sonst auch negative Konsequenzen für die Stadtgesellschaft geben kann“, so Korntheuer, „die nächste Frage ist natürlich, wie das umgesetzt wird. Aber der Gesamtplan ist ein guter Anfang“.
Literatur
Kosyakova, Yuliya (2017): Qualifikation, Berufserfahrung und soziale und ökonomische Integration der Geflüchteten: Eine Geschlechtsspezifische Betrachtung auf Basis der IAB-BAMF- SOEP- Befragung von Geflüchteten in Deutschland. Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Berlin, 13. Juli 2017.
Worbs, Susanne; Bund, Eva & Böhm, Axel (2016): Asyl – und dann? Die Lebenssituation von Asylberechtigten und anerkannten Flüchtlingen in Deutschland. Forschungsbericht 28. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Hrsg.). Nürnberg.