„Ich wurde vom Gast zum Gastgeber“

13 Apr 2018
„Ich wurde vom Gast zum Gastgeber“
Erkan Inan (r.) zu Gast beim Tutzinger Diskurs, Foto: Valentine Auer

Von Valentine Auer

Für ein konstruktives Miteinander in München. Ein Ort der Begegnung für alle. Mit diesen Zielen will das Münchner Forum für Islam (MFI) seit 2014 den Diskurs in München mitgestalten und das so sichtbar wie möglich. Muslim*innen sollen dabei von Gästen zu Gastgeber*innen werden. Ein Gespräch mit dem ehemaligen Vorstandsmitglied des MFI Erkan Inan.

Erkan Inan ist in Bayern geboren und aufgewachsen. Seine Eltern sind türkische Gastarbeiter. Weder der Islam noch die Türkei spielten in seinen frühen Kindheitsjahren eine große Rolle. Türkisch begann er erst mit sechs Jahren zu lernen. In seiner Jugend wurde Inan zunehmend „türkisiert“, wie er es nennt. Seine Herkunft war für seine Umgebung wichtiger als für ihn. Insbesondere in der Schule: „Was macht deine Familie, wenn ihr mal nicht mehr hier sein dürft?“ – von einer seiner Lehrer*innen erhielt er die Aufgabe, einen Aufsatz über diese Frage zu schreiben.

Irgendwann war es dann so weit: Er entschied sich der Einfachheit halber, Türke zu sein, ein paar Jahre später entdeckte er auch den Islam für sich. Mittlerweile ist er ein zentraler Teil der muslimischen Vereinslandschaft in München. Bis vor Kurzem war er Vorstandsmitglied des Münchner Forum für Islam (MFI). Er ist Veranstalter der am MFI angegliederten Reihe „Kritisch Denken“ sowie des Kunstfestivals AusARTen. Zudem sitzt er im Münchner Migrationsbeirat.

Vom Gast zum Gastgeber

„Ich wurde vom Gast zum Gastgeber. Ich konnte mitgestalten“, erklärt er seine Motivation, sich in Vereinen zu engagieren. In München leben rund 1,5 Millionen Menschen. 43,2 Prozent von ihnen haben einen Migrationshintergrund. Das sind etwa 666.450 Menschen. Laut Schätzungen leben zudem mehr als 100.000 Muslim*innen in München.

Menschen, die zu München gehören und für die der Verein MFI eine Anlaufstelle sein will. Die Angebote des Vereins reichen dabei vom sozialen und kulturellen Gemeindezentrum, über die Moschee, bis hin zu einer Akademie und einem Museum. Und das alles ohne den Bezug auf nationale Identitäten aus den ehemaligen Herkunftsländern und auf Basis der gemeinsamen deutschen Sprache, erklärt Inan: „Es ist ein schleichender Prozess, dass mit jeder in Deutschland geborenen Generation die Kinder nicht nur besser Deutsch sprechen, sondern auch auf Deutsch träumen. Dadurch entsteht eine andere Notwendigkeit. Und zwar Orte zu haben, wo man Deutsch spricht und in denen nicht einfach die Kultur der Heimat gepflegt wird.“

Es sind zudem Angebote, die sich nicht nur an Muslim*innen richten. Bereits 90 Veranstaltungen organisierte das MFI mit unterschiedlichsten Menschen, um über Kunst, Kultur, Religion oder Gesellschaft zu sprechen. An mehr als 100 Freitagen konnten Besucher*innen sich im Rahmen eines offenen Kaffeetreffs austauschen. „Auf einmal ist das Label der Personen nicht mehr so wichtig. Das Label ist höchstens noch, dass Muslime etwas veranstalten und Ideen- und Impulsgeber sind. Wir sind nicht mehr als Quoten-Muslime oder Quoten-Hijabi Gast in einem anderen Verein, sondern laden umgekehrt auch mal einen Pfarrer oder eine Pfarrerin, einen Rabbiner oder eine Rabbinerin zu unseren Veranstaltungen ein“, so Inan.

Vom Hinterhof auf den Hauptplatz

Nicht nur Gastgeber*in, sondern auch sichtbar sein, ist ein zentrales Ziel des MFI. Derzeit gibt es in München nur sogenannte Hinterhofmoscheen. Keine sichtbaren Gebetsräume für Muslim*innen, sondern eben versteckt in den Münchner Hinterhöfen. Gleichzeitig wird immer wieder die Kritik laut, dass sich Muslim*innen doch integrieren und raus aus den Hinterhöfen sollten. Das MFI will dem gerecht werden: So befindet sich das MFI in der Münchner Innenstadt, rund 500 Meter vom Hauptplatz, dem Marienplatz, entfernt. Zudem ist ein Moscheebau in der Nähe des Hauptbahnhofs geplant.

„Das Projekt zeigt auf, dass wir hier sind, dass wir hier verortet sind. Es ist ein klares Statement an München. Daher geht es auch darum, gesehen zu werden, indem man vom Hinterhof rauskommt. Wie soll ich mich als Muslim konstruktiv einsetzen, wenn ich nicht sichtbar, wenn ich nicht akzeptiert bin?“, so die Frage von Inan.

Der lange Weg zur Gleichwertigkeit

Er bezeichnet München als eine „Insel im dunklen Wald“: Davon zeugt das zivilgesellschaftliche Engagement von alteingesessenen Münchner*innen für Geflüchtete. Oder die vielzähligen Lokale mit den „München ist bunt“-Stickern, um sichtbar gegen Rechtsextremismus aufzutreten. Aber auch die gut besuchten Demos gegen Pegida oder der Applaus für die 2015 am Münchner Bahnhof angekommenen Geflüchteten. Ein symbolischer Applaus, erklärt Inan: „München hat viel Rechtsterror erlebt. Das Oktoberfest-Attentat, NSU-Morde oder zuletzt der rechtsextreme Anschlag am und im Olympia-Einkaufszentrum. Hitler hat in München am Odeonsplatz gesprochen. Daher hat man eigentlich nicht den Flüchtlingen applaudiert. Der Applaus war ein Symbol für ‚Nie wieder Deutschland‘ und vor allem für ‚Nie wieder München‘“.

Und dennoch gibt es in München nach wie vor Probleme, wenn es um das Zusammenleben geht:  So haben zum Beispiel bereits 2014 64.000 Münchner*innen gegen den Moscheebau unterschrieben. Der Protest – angeführt von der Pegida – geht immer noch weiter. Aber auch im privaten Bereich merkt Inan erneut, dass er noch immer nicht ganz ankommen konnte: Obwohl in Bayern geboren und mit Deutsch aufgewachsen, wurden seine Kinder dazu angehalten, einen Vorschulkurs Deutsch zu besuchen. Es ist ein langer Weg bis zur tatsächlichen Gleichwertigkeit, glaubt Inan: „Schon in den Schulen müsste man den Menschen in Aussicht stellen, gleichwertig zu sein, und ihnen das auch so vorleben. Es braucht mehr gelebte Demokratie. Und zwar für alle. Egal ob Migrant, Ostdeutscher oder alteingesessener Westdeutscher. Sonst kappt man jede Möglichkeit für die Menschen anzudocken.“

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