Fantasie und Kreativität – aber auch Hygiene und Abstand: Jugendarbeit aktuell

08 Jun 2020
Fantasie und Kreativität - aber auch Hygiene und Abstand: Jugendarbeit aktuell
Susanne Lange, Kreisjugendpflegerin für den Landkreis Coburg, hat die Pflanzentauschaktion "Jugendarbeit mit Herz" mit initiiert. Copyright: privat.

Susanne Lange ist Teilnehmerin des aktuellen Diskurs-Projekts „Miteinander vor Ort“. Sie ist als Kreisjugendpflegerin in der Kommunalen Jugendarbeit (KoJA) des Landkreises Coburg tätig. Zu den Schwerpunkten ihrer Arbeit gehört die Planung, Förderung und Entwicklung von Infrastrukturen der Kinder- und Jugendarbeit im Landkreis sowie die Beratung und Unterstützung der in diesem Bereich Tätigen. Mit viel Kreativität und Fantasie arbeiten sie, ihre Mitarbeiter*innen und Projektpartner*innen daran, Kinder- und Jugendarbeit unter Corona-Maßnahmen weiter lebendig zu halten und durchzuführen. Sie gibt einen Ausblick, mit welchen Auflagen die Wiedereröffnung der Jugendarbeit einhergehen wird.


Man achtet noch mehr auf das Miteinander

Ende März wurde Susanne Lange zur Verstärkung für die Antragsbearbeitung der Notfallbetreuung in den Kitas des Landkreises eingeteilt. Anträge von Eltern, die in systemrelevanten Berufen tätig sind, mussten geprüft, Anrufe entgegengenommen und die Einteilung für die Notfallbetreuung vorgenommen werden. Parallel dazu nahm sie weiter ihre Aufgaben als Kreisjugendpflegerin wahr, wechselweise wöchentlich im Home Office. Auch ihre Praktikantin, Studentin der Sozialen Arbeit, ist – neben ihrer Tätigkeit in der Kommunalen Jugendarbeit –  weiter bei der Kita-Hotline eingesetzt. Sie war auch zwei Wochen beim Gesundheitsamt und unterstützte dort die Kontaktnachverfolgung bei positiv auf das Coronavirus getesteten Personen.
„Man muss aushelfen“, so Lange, es sei eine Selbstverständlichkeit, sich in einer solchen Situation gegenseitig zu unterstützen. Das Gesundheits- und Landratsamt in Coburg befinden sich unter einem Dach. Seit Anfang Mai ist sie wieder zu 100 Prozent in der Kommunalen Jugendarbeit (KoJA) tätig.

Lange unterstützt und berät diejenigen, die im Landkreis Kinder- und Jugendarbeit durchführen und anbieten. Dazu gehören auch die insgesamt 16 GemeindejugendpflegenGemeindejugendpfleger*innen sind pädagogische Fachkräfte, die planende, initiierende, koordinierende und unterstützende Tätigkeiten in der Jugendarbeit einer Gemeinde übernehmen. Sie sind die zentralen Ansprechpartner für Fragen und Aufgaben der Jugendarbeit in der Gemeinde., zu denen sich der Kontakt während der Corona-Krise deutlich intensiviert hat: „Das ist wirklich ein positiver Effekt an Corona, man wächst zusammen, tauscht sich intensiver aus und ist enger füreinander da. Es geht darum, gemeinsam stark zu sein, um die Jugendarbeit im Landkreis Coburg zu präsentieren.“

Die Jugendpflegen im Landkreis wurden für die Nachbarschaftshilfe eingeteilt. Man war zunächst davon überzeugt, dass es einen großen Unterstützungsbedarf für die Senior*innen im Landkreis gebe, da diese häufig alleine lebten und auf sich gestellt seien. Auf den Aufruf zur Nachbarschaftshilfe hin meldeten sich sehr viele, die sich engagieren wollten, aber nur ganz wenig, die Unterstützung anfragten. Für Lange ist das ein Spezifikum des ländlichen Raums. Dort gibt es bereits gelebte Nachbarschaftshilfe. Ihre Beobachtung der gegenwärtigen Situation ist: „Man achtet noch mehr auf das Miteinander, das ist ein positiver Effekt. Das lässt sich Corona positiv zuschreiben.“ Die Telefon-Hotline für die Nachbarschaftshilfe besteht trotzdem weiter, falls jemand Unterstützung benötigt. Und ab und an ruft dort auch jemand an. Genügend Engagierte stehen bereit.

Jung und Alt gleichermaßen wollten die Kommunale Jugendarbeit und die Jugendpflegen mit der Pflanzentauschaktion „Jugendarbeit mit Herz“ ansprechen. Einer der Tauschplätze befindet sich direkt am Garten des Landratsamtes in Coburg in Sichtweite von Langes Büro. Dort findet man neben verschiedensten Blumensetzlingen auch selbstgezogene Tomaten, Zucchini, Rote Beete, Erdbeerpflänzchen und was das Gärtnerherz erfreut. Wer vorbeikommt, darf sich eine Pflanze mitnehmen und im Gegenzug einen Setzling aus dem eigenen Anbau zum Tausch geben. Diese Aktion hat sehr großen Anklang gefunden. Für Lange und ihre Mitarbeiter*innen ist es wichtig, weiter präsent zu sein, sichtbar zu bleiben und zugleich auch etwas Gutes zu tun. Und wer Lust hat, kann durch den gesamten Landkreis von Tauschplatz zu Tauschplatz radeln und sich an der gärtnerischen Vielfalt erfreuen. Mittlerweile gibt es 15 Standorte, die von den Gemeindejugendpflegen ins Leben gerufen wurden – teils in Zusammenarbeit mit dem Obst- und Gartenbauverein, teils mit den Nachmittagsbetreuungen an Schulen oder Kitas.


Fantasie und Kreativität sind gefordert

Um den Kontakt zu den Kindern und Jugendlichen zu halten, wurden verschiedene Online-Angebote gestartet. Es wird noch intensiver über Facebook und Instagram gepostet und über WhatsApp-Gruppen wird die Kommunikation aufrechterhalten. Besonders gut angenommen werden die virtuellen Jugendtreffs. Die Kinder und Jugendlichen finden sich online zu einer bestimmten Zeit ein, dann wird gemeinsam gespielt und es bleibt auch Zeit, sich zu unterhalten.

Auf unterschiedlichsten Wegen wird versucht, gut in Kontakt mit den Jugendlichen zu bleiben. Grosso modo sind das die Kontakte, die man auch vorher schon hatte. Es kommen wenig neue hinzu, auch wenn die Klicks auf Facebook und Instagram Neuzugänge erkennen lassen. Darüber entsteht aber zumeist kein neuer Kontakt. Da und dort zeigt sich bei den Kindern und Jugendlichen eine Übersättigung an Online-Angeboten und virtuellem Kontakt, was möglicher Weise auch durch das Home-Schooling bedingt ist. Seit 27. April gibt es zwar eine schrittweise Öffnung der Schulen, viele Schüler*innen lernen aber noch immer von zuhause. Da die Klassen in je zwei Gruppen aufgeteilt wurden und nun in einem rollierenden System unterrichtet wird, wechseln sich Präsenzphasen und Home-Schooling ab. Langes Erfahrung ist deshalb in Bezug auf das virtuelle Angebot: „Die wollen lieber raus, die wollen sich bewegen, die wollen sich wieder treffen – wie es einem ja selbst auch geht: sich wieder mit Freunden treffen, mal wieder gemeinsam etwas unternehmen. Wie früher.“

Susanne Lange empfindet diese Zeit mit all ihren Herausforderungen auch als sehr spannend, weil viel Kreativität und Fantasie gefordert sind.
Das ursprünglich für die Pfingstferien geplante Programm – darunter auch ein Zeltlager – musste aufgrund der Kontaktbeschränkungen abgesagt werden. Viele Angebote der Jugendarbeit verlegen sich ins Virtuelle: Da werden eigene YouTube-Videos gedreht, es wird per Live-Stream gebastelt und gekocht, es werden verschiedene Challenges angeboten.
In Kooperation mit den Gemeindejugendpflegen fährt die Kommunale Jugendarbeit mit dem KoJA-Freizeitbus durch den Landkreis und führt an zehn verschiedenen Orten eine Greenscreen-Aktion durch. Dort können sich die Kinder und Jugendlichen vor ihrem Lieblingsreiseziel fotografieren lassen. So lässt sich für kurze Zeit verreisen, wohin das Herz begehrt: Nach Paris, Rom, Madrid oder lieber an den Nord- oder Südpol? Vielleicht auch Buenos Aires oder New York. Ganz ohne Reisebeschränkungen.

Außerdem bietet die KoJA ein Ferienprogramm der etwas anderen Art an: den Freizeitbeutel to go. Verbunden ist die Aktion ebenfalls mit der Bustour durch den Landkreis. Im Freizeitbeutel finden sich verschiedene Bastelanteilungen mit Materialien, eine Frisbee-Scheibe, ein Rätselheft, eine Radwanderkarte zu den Pflanzentauschherzen, Rezepte und vieles mehr. Und dann wird – statt wie früher im Jugendtreff –  zuhause gemeinsam mit den Eltern gebastelt.


Wann macht das Jugendzentrum wieder auf?

Mit der schrittweisen Öffnungen der Schulen sowie verschiedener Lockerungen im öffentlichen Leben, stellt sich zunehmend die Frage, wie und wann die Kinder- und Jugendarbeit ihre Jugendtreffs wieder öffnet, Gruppenstunden anbietet und was aus den für die Sommerferien geplanten Zeltlagern wird. Was gilt es für einen Neustart der Kinder- und Jugendarbeit nach den Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen zu beachten? Der Bayerische Jugendring (BJR) ist überörtlicher Träger der öffentlichen Jugendhilfe und damit auch für den Bereich der Jugendarbeit sowie für die Beratung der Jugendämter und die Entwicklung von Empfehlungen zur Erfüllung der Aufgaben zuständig. Seitens des BJR heißt es, dass sich die Jugendarbeit weiter im Lockdown befinde, man aber auf einen Öffnungsbeschluss zu Beginn der Pfingstferien hinarbeite. Für die Wiedereröffnung von Jugendarbeit bedarf es eines Beschlusses des Ministerrates und eines Gesamtkonzeptes, das vom Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege (StMGP) geprüft wird.

Um die haupt- und ehrenamtlichen Fachkräfte in der Jugendarbeit auf die Wiederaufnahme der Jugendarbeit vorzubereiten, hat der BJR Empfehlungen für die Erstellung eines Gesundheitsschutz- und Hygienekonzepts in der Jugendarbeit ausgearbeitet. Darin sind neben grundlegenden Informationen zu Rahmenbedingungen für Veranstalter*innen und Betriebsträger von Jugendbildungs- und Jugendübernachtungseinrichtungen auch Hinweise zu funktionell-organisatorischen Maßnahmen bei Gruppenstunden und anderen Angeboten der Jugendarbeit zusammengestellt. Dazu gehören zum Bespiel internationale Austauschmaßnahmen. Die Empfehlungen geben eine Orientierung darüber, welche Inhalte in einem Gesundheitsschutz- und Hygienekonzept grundsätzlich notwendig sind. Letztlich muss jetzt eine jede Einrichtung ihr eigenes Gesundheitsschutz- und Hygienekonzept erarbeiten, das dann vom zuständigen Gesundheitsamt geprüft und abgesegnet werden muss.

Dass Kinder- und Jugendarbeit auch wieder im direkten Kontakt stattfinden soll, steht außer Frage. Wie kann jedoch gute Kinder- und Jugendarbeit unter diesen schwierigen Voraussetzungen aussehen? Es solle ja nicht nur darum gehen, den großen Betreuungsbedarf zu decken, sagt Lange.
Fußballspielen ist verboten. Es sei denn, ein jeder spielt für sich mit dem eigenen Ball. Ein Tischtennisspiel wird unmöglich, weil man zwar einen eigenen Schläger hat, aber der Tischtennisball auch mit der Hand berührt wird. Beim Basteln und Bauen darf man nicht einfach Schere, Pinsel oder Hammer teilen. Übernachtungen im Zeltlager, das Stockbrot beim Lagerfeuer – all das, was Jugendarbeit eben ausmacht: Dinge gemeinsam zu tun, sind schwer auf Abstand vorstellbar.

Wen nimmt man ins Ferienlager mit, wenn nur noch die Hälfte mitkommen darf? Wer darf ins Jugendzentrum rein, wenn statt 60 jetzt nur noch maximal 10 bis 20 Personen gleichzeitig im Raum sein dürfen? Rechnet sich die Öffnung der Jugendbildungsstätte, wenn sie nur noch zu 60% ausgelastet werden darf, die laufenden Kosten aber genauso hoch sind wie bei voller Auslastung? So wird Jugendarbeit zwar wieder erlaubt, wird aber unter den entsprechenden Auflagen nur schwer durchführbar sein. Lange sieht das als große Herausforderung. Eine schwierige Gratwanderung zwischen dem Gesundheitsschutz für alle Beteiligten und der Schaffung von Freiräumen für Kinder und Jugendliche. Und auch die Kosten muss man im Blick behalten.

Dennoch sieht sich Lange gemeinsam mit den Gemeindjugendpflegen im Landkreis in einer glücklichen Position. Sie freuen sich schon auf den Neustart, der sicherlich auch sehr viele positive Effekte mit sich bringen wird. Es bleibt ein spannendes Arbeitsfeld.

 

Von Juliane Schwab

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