Diskurs-Auftakt “Miteinander vor Ort”

21 Jan 2020
Diskurs-Auftakt "Miteinander vor Ort"
Diskursgruppe, Foto: Beate Winterer

Bericht: Christian Hofmann und Michael Spieker, Video: Beate Winterer und Frederik Haug

Die Diskurs-Gruppe „Miteinander vor Ort“ traf am 13./14. Dezember 2019 zu ihrem ersten Workshop in Tutzing zusammen. Für die 14 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus der Sozialen Arbeit, der kommunalen Verwaltung und Wissenschaft stand zunächst das gegenseitige Kennenlernen im Fokus, aber auch schon eine erste Verständigung über die gemeinsam zu bearbeitenden Themen und schließlich die Einigung auf konkrete Projekte sowie das Erstellen eines Arbeitsplans. Ziel ist es, Ideen für Jugendbeteiligung in der Kommune unabhängig von ihrer sozialen Herkunft zu entwickeln. Durch die Erfahrung von Mitbestimmung und Selbstwirksamkeit soll ihre demokratische Teilhabe gestärkt werden. Im Hinblick auf Beteiligungsmöglichkeiten aber sind ländliche Kommunen oftmals vor besondere Herausforderungen gestellt. Zum Diskurs-Auftakt kamen auch die beiden Beiräte Dr. Christian Boeser-Schnebel und Florian Wenzel, die der Gruppe über ihr gemeinsames Projekt „Dorfgespräch” berichteten, bei dem es unter anderem um Demokratieförderung im ländlichen Raum geht.

 

 

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer stellten eigene Projekte im Bereich der Jugendarbeit vor: Maria Dießner berichtete über ihre Arbeit im Jugendforum in der sächsischen Kommune Böhlen (Landkreis Leipzig). Ziele des Forums sind die Einbeziehung der Jugendlichen in Entscheidungsprozesse innerhalb der Kommune und deren Eigenständigkeit und Verantwortungsübernahme durch die Planung und Umsetzung eigener Projekte zu fördern. Andererseits sollen Bürgermeister, Stadträte und andere Verantwortliche für die Interessen und Bedürfnisse der Jugendlichen sensibilisiert werden. Das positive Beispiel aus Böhlen strahle auch auf die Nachbarkommunen ab.

Sebastian Stamm und Susanne Lange stellten für das Landratsamt Coburg ihr im Vorfeld der Bundestagswahl 2017 gestartetes Projekt „Die Couch kommt“ vor. Dabei sollen Jugendliche durch direkte Gespräche mit Abgeordneten für politische Themen und für die Beteiligung an Wahlen interessiert werden. Dieses Projekt wird seitdem auch bei anderen Wahlen durchgeführt: Das Organisationsteam reist mit einer Couch in die Gemeinden des Landkreises Coburg, auf der eine eingeladene Abgeordnete Platz nimmt. So ist bereits der Ort geschaffen für ein direktes Gespräch zwischen jugendlichen Passanten und dem bzw. der Abgeordneten. Indem Politiker direkt zu den Jugendlichen vor Ort kommen und zu deren Fragen und Anliegen Stellung nehmen, rückt Politik gleichsam in die eigene Lebenswelt und verliert ihre vermeintliche Abstraktheit.

Dominik Rankl und Tim Hofmann stellten dann ihre Arbeit im Jugendzentrum in Bobingen (Landkreis Augsburg) vor. Das Jugendzentrum erreicht v.a. sozial benachteiligte junge Menschen. Deren Beteiligungsmöglichkeiten sollen gezielt gefördert werden, etwa durch Mitbestimmungsmöglichkeiten in Hausversammlungen oder eine „Mitbestimmungsbox“. Ziel ist es, dass die Jugendlichen dabei lernen, (Mit-)Verantwortung zu übernehmen, so dass sie durch das eigene Entscheiden und Gestalten ihre Wirksamkeit erleben.

Elke Reinhart ist Integrationsbeauftragte in Neunburg vorm Wald (Oberpfalz), wo sie vor Kurzem einen Jugendtreff aufgebaut hat. Der Jugendtreff soll eine Begegnungsstätte sein für Jugendliche aus unterschiedlichen sozialen Schichten und mit unterschiedlicher Herkunftsgeschichte. Alle Jugendliche in Neunburg zwischen 14 und 18 Jahren wurden hierzu per Brief durch den Bürgermeister eingeladen. Derzeit sind es etwa 20 Jugendliche aus acht Herkunftsländern, die wöchentlich den offenen Treff besuchen. Die Gestaltung der darüber hinaus regelmäßig stattfindenden Aktionstage wird von den Jugendlichen im Wesentlichen selbst bestimmt. In diesem Rahmen kommt es auch zu Begegnungen über gesellschaftliche Schranken hinweg – etwa zwischen ortsansässigen Unternehmerinnen und Jugendlichen mit Fluchterfahrung.

Einen weiteren Input zum Thema „Demokratieförderung“ gab es seitens der Beiräte Christian Boeser-Schnebel und Florian Wenzel. Boeser-Schnebel ist Akademischer Oberrat am Lehrstuhl für Pädagogik an der Universität Augsburg, Wenzel ist selbständiger Moderator und Prozessbegleiter im Bereich des Demokratie-Lernens. Sie berichteten von ihrem gemeinsamen Projekt, den „Dorfgesprächen“. Die Dorfgespräche werden seit 2017 im Landkreis Rosenheim in kleineren Gemeinden mit möglichst weniger als 6000 Einwohnern durchgeführt. Sie vernetzen Menschen aus unterschiedlichen sozialen Gruppen über ihre bisherigen Bekanntschaften und sozialen Rollen hinaus und bringen sie in einen Dialog. Durch einen solchen Prozess könne in der vielfältigen Dorfgesellschaft vielleicht ein neues „Wir“ entstehen. Ein wichtiger Punkt ist hierbei, dass über eingespielte Verhältnisse hinausgedacht wird und auch diejenigen einbezogen werden, die im alltäglichen Dorfleben häufig im Abseits stehen. Oftmals sind es gerade sie, die wichtige, aber bislang nicht entdeckte Potentiale für die Gestaltung des Miteinanders beitragen können, indem sie ungeahnte Perspektiven und Lösungswege aufzeigen. Die Referenten berichteten der Gruppe von ihren Erfahrungen und von den Methoden, auf die sie bei der Organisation und Moderation des Prozesses zurückgreifen. Wichtig sei hierbei etwa, niederschwellig anzusetzen und über alltägliche Probleme und nicht etwa über abstrakte ideologische Konflikte zu reden; dabei zugleich nicht defizit-, sondern pragmatisch und lösungsorientiert vorzugehen.

 

Seite 2: Das “Dorfgespräch” – Dorferneuerung in den Köpfen

 

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