Deutsche Migrations- und Integrationsgeschichte

06 Feb 2018
Deutsche Migrations- und Integrationsgeschichte

Wen integrieren? Und in was überhaupt? Wer kommt nach Deutschland? Wer hat ein Recht auf Arbeit und wer ein Recht hier zu leben? Egal, ob es um Integrationskonzepte, Wertediskussionen oder Rückführungen von Menschen ohne rechtmäßigen Aufenthaltstitel geht: Integrations- und Migrationsdebatten werden nicht erst seit der Zunahme der Fluchtmigration 2015 geführt. Die immer gleichen Fragen nach „gelingender Integration“ und der Aufnahme von Menschen aus dem Ausland sind Bestandteil der deutschen Politik, seitdem 1978 die Notwendigkeit gesehen wurde, erstmals einen Integrationsbeauftragten zu bestellen. Wir werfen einen Blick zurück.

Migration nach und aus Deutschland bis 1950

Und beginnen mit den frühen Migrationsbewegungen: Ein Beispiel dafür ist die Flucht der französischen Protestant*innen (Hugenotten) in die umliegenden protestantischen Länder. Insgesamt flohen rund 250.000 Protestant*innen – ein Zielland war dabei auch Preußen. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts stellten Hugenotten etwa ein Drittel der Berliner Bevölkerung.

Im 19. Jahrhundert flohen Juden und Jüdinnen aus Russland, der Ukraine, dem heutigen Polen oder dem Baltikum vor Antisemitismus, Pogromen und Armut. In Deutschland, insbesondere in Berlin, wurden Juden und Jüdinnen zu einer neuen ethnisch-religiösen Minderheit. So hatte die jüdische Gemeinde Berlin vor dem Nationalsozialismus rund 170.000 Mitglieder. Anfang 1940 lebten nur noch 80.000 Juden und Jüdinnen in Berlin, im Juni 1943 waren es 6.800. Während der Herrschaft des Nationalsozialismus wurden in Deutschland und im besetzten Europa 6 Millionen Jüdinnen und Juden ermordet. Rund 280.000 Juden und Jüdinnen flüchteten aus Deutschland und wurden von mehr als 80 Staaten aufgenommen. So ist die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts vor allem von der Flucht aus Deutschland geprägt. Auch ab 1945 kommt es zu zahlreichen Wanderungsbewegungen aufgrund der politischen Neuordnung. Zwischen 1945 und 1950 kommen rund zwölf Millionen Vertriebene mit deutscher Staatsangehörigkeit nach Deutschland zurück. Gleichzeitig werden Menschen vertrieben und umgesiedelt bzw. wandern wirtschaftlich bedingt aus.



„Gastarbeiter*innen“ und das Bekennen zum „Einwanderungsland“

Ab den 1950er-Jahren war die Migration nach Deutschland stark von den sogenannten „Gastarbeiter*innen“ geprägt. Aufgrund des Arbeitskräftemangels in Deutschland werden mit Hilfe von Anwerbeabkommen ausländische Arbeitskräfte angeworben. Das erste Abkommen wurde 1955 mit Italien geschlossen. 1960 waren bereits 280.000 ausländische Arbeiter*innen in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt. Auch die DDR wirbt Arbeitnehmer*innen aus dem Ausland an. Zwischen 1966 bis 1989 kamen rund 500.000 Arbeiter*innen aus Ländern wie Vietnam, Polen, der Sowjetunion oder Ungarn nach Deutschland.

Das Verständnis davon, wer dauerhaft nach Deutschland migrieren darf, war zu diesem Zeitpunkt jedoch noch relativ eng und galt nach 1945 vor allem für Vertriebene, Geflüchtete und Aussiedler*innen. 1953 trat das „Bundesvertriebenengesetz“ in Kraft, das die Versorgung von Vertriebenen und Flüchtlingen regelt.

Mit der Erleichterung bei Aufenthaltsverlängerungen im Jahr 1971 verfestigte sich der Aufenthaltsstatus der „Gastarbeiter*innen“, viele holten ihre Familie nach. Die Debatten rund um Migration und Integration werden dadurch vielfältiger und kontroverser. 1978 wurde der erste Integrationsbeauftragte Heinz Kühn von der Bundesregierung bestellt, der „für die Integration der ausländischen Arbeitnehmer und Familienangehörigen“ zuständig sein sollte. Integration wird dabei nach wie vor aus arbeitsmarktpolitischer Perspektive formuliert. Ein Jahr später folgte der erste Integrationsbericht (auch „Kühn-Memorandum“). Heinz Kühn stellte darin fest, dass es sich auch bei der „Gastarbeit“ um Einwanderung handelt, Deutschland wird erstmals als Einwanderungsland bezeichnet.

Vermehrte Steuerung und Begrenzung der Migration

Schon drei Jahre nach dem Bekenntnis zum Einwanderungsland Deutschland des Integrationsbeauftragten Heinz Kühn, rudert die schwarz-gelbe Koalition zurück: Deutschland sei kein Einwanderungsland, heißt es vonseiten der Bundesregierung. Die aus dem ersten Integrationsbericht abgeleiteten Integrationsmaßnahmen sollen in erster Linie der Arbeitsmarktintegration dienen.

Im gleichen Jahr (1983) wurde das „Gesetz zur befristeten Förderung der Rückkehrbereitschaft von Ausländern“ (Rückkehrhilfegesetz) verabschiedet. Als Reaktion auf steigende Arbeitslosenquoten soll damit die Rückkehrbereitschaft arbeitsloser Ausländer*innen durch finanzielle Anreize gefördert werden.

Auch die 1990er-Jahre sind geprägt von unterschiedlichen Wanderungsbewegungen und der gleichzeitigen Steuerung dieser: So nimmt mit dem Fall des Eisernen Vorhangs und der Öffnung Osteuropas die Zahl der nach Deutschland einwandernden (Spät)Aussiedler*innen zu. Zwischen 1991 und 1995 nimmt Deutschland zudem rund 350.000 Kriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien auf.

1992 schließen CDU/CSU, FDP und SPD den sogenannten „Asylkompromiss“ und schränken damit das Recht auf politisches Asyl ein. Das „Asylverfahrensgesetz“ und das „Asylbewerberleistungsgesetz“ treten am 1. Juli 1993 in Kraft und werden bereits 1997 geändert, um die Abschiebung und Ausweisung krimineller Ausländer*innen zu erleichtern. 2000 wurde die „Unabhängige Kommission Zuwanderung“ (Süssmuth-Kommission) einberufen, um die Gesetzgebung rund um die Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung sowie Integrationsmaßnahmen zu vereinfachen.

Auf EU-Ebene wird in dieser Zeit versucht, das Asylrecht zu vereinheitlichen. Das Dubliner Übereinkommen tritt 1997 in Kraft.

Debatten zu Staatsangehörigkeit, Integration und Flucht

2001 formulierte die „Unabhängige Kommission Zuwanderung” Handlungsempfehlungen für eine Reform der Integrationspolitik. Mit dem Zuwanderungsgesetz, das zum Teil auf diesen Empfehlungen basiert, wird langfristige Zuwanderung als positiv erkannt. Der Fokus wird nun zunehmend auf Integrationsmaßnahmen gelegt. 2006 wurde erstmals ein Integrationsgipfel einberufen, in dem auch Migrant*innen-Organisationen zu Wort kommen. Ein Jahr später wird auf dem zweiten Integrationsgipfel der Nationale Integrationsplan verabschiedet. 2011 wird dieser zum Nationalen Aktionsplan Integration (NAP-I) mit konkreten, verbindlichen und überprüfbaren Zielvorgaben weiterentwickelt.

Durch die zunehmende Fluchtmigration im Jahr 2015 werden einerseits das Asylrecht (Asylpaket I, Asylpaket II) und andererseits Integrationsmaßnahmen – insbesondere durch das Integrationsgesetz 2016 – verschärft. Zudem verschiebt sich die Frage der Integration von Fragen der sozioökonomischen Aspekte zu normativer und kulturelle Integration. Aktuell wird eine Integration in die „deutschen Wertevorstellungen“ gefordert. Die Integrationskurse wurden dementsprechend erweitert, um „Kenntnisse der Rechtsordnung, der Kultur und Geschichte in Deutschland“ zu vermitteln.

„Wer darf eigentlich Deutsche*r sein?“, ist eine weitere Frage, mit der sich die deutsche Politik in dieser Zeit auseinandersetzt(e): 2000 trat das Staatsangehörigkeitsgesetz in Kraft. Damit mussten sich Kinder ausländischer Eltern bis zum 23. Lebensjahr zwischen der deutschen und der ausländischen Staatsangehörigkeit entscheiden (Optionspflicht). Im Dezember 2014 entfiel die Optionspflicht für im Inland aufgewachsene Personen, die mindestens acht Jahre in Deutschland gelebt haben. Sie erhielten damit die Möglichkeit einer doppelten Staatsangehörigkeit. Aktuell wird diese aber wieder als integrationspolitisches Hindernis diskutiert.

Quellen: Bundeszentrale für politische Bildung, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Mediendienst Integration, Statistisches Bundesamt.

Text und Gestaltung: Valentine Auer

Die Timelines zeigen wichtige Punkte der Migrations- und Integrationsgeschichte in Deutschland auf und verfolgen nicht das Ziel der Vollständigkeit. So werden zum Beispiel rechtsextreme Anschläge, die oftmals mit den Migrationsbewegungen und Integrationsdebatten zusammenhängen, nicht behandelt. Einen guten Einblick gibt jedoch die Zeitleiste Rechtsextremismus der Bundeszentrale für politische Bildung.

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