„Der Kopf könnte, aber die Sprache kann noch nicht“

20 Dez 2018
„Der Kopf könnte, aber die Sprache kann noch nicht“
Copyright: Benjamin Storck

Von Valentine Auer & Benjamin Storck

Uljana Doda will eigentlich gar nicht mehr raus aus der Schule. Sie kommt aus Albanien, lebt seit drei Jahren in Deutschland und besucht die SchlaU-Schule in München. Jetzt, kurz vor ihrem Abschluss, fällt der Abschied von der Schule schwer. Auch wenn es zu Beginn nicht einfach war, fühlt sie sich mittlerweile wie zuhause an der Schule. „Am Anfang habe ich niemanden gekannt, ich war sehr skeptisch. Mit der Zeit wurde es besser und jetzt möchte ich gar nicht mehr aus der SchlaU-Schule raus, so wohl fühle ich mich hier“, sagt Doda. Um in das deutsche Regelschulsystem zu kommen, war sie bereits zu alt. Die SchlaU-Schule füllt diese Lücke, mit der Jugendliche und junge Erwachsene ab 16 Jahren konfrontiert sind, bereits seit 18 Jahren mit ihrem Schulanalogen Unterricht. Aber auch mit weiteren Angeboten, die Jahr für Jahr hinzukamen – von Alphabetisierungs- und Förderklassen, über das Nachbetreuungsprogramm Übergang Schule-Beruf, bis hin zur eigenen interdisziplinären Denkwerkstatt, der SchlaU-Werkstatt für Migrationspädagogik.

Selbstständigkeit durch den Bildungsweg

1992 unterschrieb Deutschland die UN-Kinderrechtskonvention, in der unter anderem das Recht auf Bildung für alle Kinder und Jugendliche verankert ist. Allerdings erfolgte diese Ratifizierung unter einem Vorbehalt: Kinderrechte wurden dem nationalen Asyl- und Ausländerrecht nachgeordnet, dadurch ergaben sich insbesondere für Asylsuchende zwischen 16 und 18 Jahren erschwerte Bildungszugänge. Das ist der Hintergrund, wieso sich der Trägerkreis Junge Flüchtlinge gründete, der seit 2000 die SchlaU-Schule betreibt: „Da diese Menschen in einem Land wie Deutschland, in einer Stadt wie München, kein Recht auf Schule haben, wollten wir etwas schulanaloges anbieten, damit sich junge Geflüchtete in München ein selbstständiges Leben über den Weg der Bildung aufbauen können“, sagt Björn Schalles, Geschäftsführer des Trägerkreises Junge Flüchtlinge.

2010 wurde dieser Vorbehalt aufgehoben, Restriktionen bestehen jedoch nach wie vor. Wie das Beispiel von Uljana Doda zeigt, fehlen die Zugänge trotzdem. Viele der bestehenden Bildungsmöglichkeiten für Geflüchtete ab 16 Jahren zielen darauf ab, die Menschen so rasch wie möglich in den Arbeitsmarkt einzugliedern. Höhere Bildungsabschlüsse sind kaum vorgesehen. Das ist mit ein Grund, wieso es die SchlaU-Schule nach wie vor benötigt. Aber auch, weil sie auf die vielfachen Herausforderungen und Barrieren, mit denen junge Geflüchtete in Deutschland konfrontiert sind, Rücksicht nimmt.

Das erlebte zumindest der 22-jährige Yasin Rahmati immer wieder. Er ist vor drei Jahren von Afghanistan nach Deutschland geflüchtet. Seit September 2016 besucht er die SchlaU-Schule. „Als ich in Deutschland angekommen bin, hatte ich sehr wenige Kontakte zu anderen Menschen hier, durch die SchlaU-Schule hat sich das geändert und ich konnte die Sprache lernen. Außerdem haben wir immer Unterstützung von den Sozialpädagogen und Sozialpädagoginnen erhalten. Wenn unser Asylantrag abgelehnt wurde, waren wir natürlich sehr traurig. Für uns war es dann sehr wichtig, dass uns hier an der SchlaU-Schule jemand geholfen hat“, erzählt Rahmati aus seinem Schulalltag. Mittlerweile verfügt er über einen Mittleren Schulabschluss und einen positiven Asylbescheid.

Begleitung von Alphabetisierung bis über den Bildungsweg hinaus

Alphabetisierungskurs in der SchlaU-Schule
Alphabetisierungskurs in der SchlaU-Schule, Copyright: Benjamin Storck

Ähnliche Biographien wie jene von Uljana Doda und Yasin Rahmati finden sich teils auch unter den Lehrer*innen. Reza Karimitari zum Beispiel. Er ist selbst vor etwa 30 Jahren geflüchtet. „Mein Fluchtweg war ähnlich wie der von meinen Schülern. Ich musste aus politischen Gründen aus dem Iran flüchten und war zwei Jahre lang unterwegs, bis ich in Deutschland ankam. Diese Erfahrung hilft mir, meine Schüler und Schülerinnen zu verstehen. Ich bin einer von ihnen“, ist sich Karimitari sicher. An der LMU München hat er Pädagogik, Linguistik und Deutsch als Fremdsprache studiert. Drei Jahre lang hat er das dort erlangte Wissen jungen Geflüchteten zur Verfügung gestellt, indem er Alphabetisierungskurse in der Unterkunft der ehemaligen Bayernkaserne anbot. Seit 2012 arbeitet er an der SchlaU-Schule, wo er mittlerweile drei Alphabetisierungsklassen und zwei Grundstufenklassen unterrichtet.

Für viele Schüler*innen der SchlaU-Schule sind diese Klassen der erste Schritt auf ihrem Bildungsweg. Begleitet werden sie jedoch noch viel länger – oft auch über den Schulabschluss hinaus. „Wenn die Schulzeit endet, beginnt oft etwas Neues“, erzählt Ines Rehm, „das kann eine weiterführende Schule oder eine berufliche Ausbildung sein. Das ist ein Umbruch, es verändert sich viel und da ist es wichtig, dass die Menschen früh genug unterstützt werden, damit dieser Übergang auch funktioniert.“ Ines Rehm ist eine der Schulsozialarbeiter*innen des Nachbetreuungsprogramms SchlaU Übergang Schule-Beruf, die die Absolvent*innen auf dem Weg in die Ausbildung oder in den Arbeitsmarkt unterstützt.

Auch für Yasin Rahmati geht es nach der SchlaU-Schule mit einer weiterführenden Schule weiter. Derzeit besucht er die Vorklasse der Montessori Fachhochschule. Endlich kann er gemeinsam mit Einheimischen in einer Klasse sitzen – ein Wunsch, den er bereits beim Ankommen in Deutschland hatte, wie er strahlend erzählt: „Es freut mich sehr, dass ich meinen Wunsch jetzt erreicht habe. Ich wollte immer gemeinsam mit Einheimischen in die Schule gehen“. Doch nicht immer enden Bildungsbiographien, die an der SchlaU-Schule beginnen, so positiv: Uljana Doda würde gerne die Ausbildung zur Krankenpflegerin machen, einen Ausbildungsplatz hätte sie bereits. Nach wie vor fehlt ihr der positive Asylbescheid und damit die Arbeitserlaubnis, um tatsächlich beginnen zu können.

Erfahrungen in das Regelschulsystem transferieren

Klassenzimmer in der SchlaU-Schule, Copyright: Benjamin Storck

All diese Barrieren, von den Problemen im Asylverfahren über fehlende Sprachkursangebote auf einem notwendigen Niveau bis hin zum erschwerten Bildungszugang, sind Gründe, weshalb es eine Schule, die sich auf den Unterricht für Geflüchtete konzentriert, braucht. Wünschenswert wäre jedoch, dass diese Barrieren auch im Regelschulsystem berücksichtigt werden; einen Teil dazu beitragen soll die 2016 gegründete Schlau-Werkstatt für Migrationspädagogik, erklärt Björn Schalles: „Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, Bildung im Kontext von Vielfalt und anerkennender Pädagogik, in einem Leuchtturm-Projekt in München aufzubauen, um daraus Wissen zu generieren und Methoden herauszuarbeiten, die vom Regelschulsystem anwendbar sind.“

In der SchlaU-Werkstatt werden daher Fortbildungen für Lehrer*innen, Pädagog*innen, aber auch für Ehrenamtliche angeboten und gemeinsam mit den Lehrer*innen und Schüler*innen der SchlaU-Schule Lehrmaterialien für Regelschulen entwickelt. Sarah Wolfertstetter ist als Redakteurin mitverantwortlich für diese Unterrichtsmaterialien. Für sie ist es wichtig, dass sich die Materialien an der Lebenswelt der Jugendlichen und jungen Erwachsenen orientieren. Gleichzeitig soll es nicht nur darum gehen, die Alltagssprache, sondern auch von Anfang an die Bildungs- und Fachsprache zu erlernen. Denn eine weitere Herausforderung für junge Geflüchtete ist laut Wolfertstetter, dass sie nur sehr wenig Zeit haben, um ihren Bildungsweg vom Erlernen der Sprache bis zur Aus- oder Weiterbildung zu gehen.

All das gilt es, Lehrer*innen und Pädagog*innen in den Regelschulen zu vermitteln – und zwar durch alle Fächer hindurch, so Wolfertstetter weiter: „Auch die Mathe-Lehrkraft muss verstehen, dass ihr Fach etwas mit Sprache zu tun hat. Dass jemand, der nach Deutschland kommt und die Sprache noch nicht kann, vielleicht sehr gute Mathe-Kenntnisse mitbringt, diese aber nicht auf das Papier bringen kann, weil er die Sprache, die Aufgabe dahinter nicht versteht. Der Kopf könnte, aber die Sprache kann noch nicht“.

 

Seite 2: Überschneidungen zwischen Asylprozess und Bildungsbiographien berücksichtigen – Interview mit Dr.in Annette Korntheuer

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