Von Valentine Auer
Förderung und Forderung der Integration von Migrantinnen und Migranten. So lautet das Ziel des Bayerischen Integrationsgesetzes (2016). Tatsächlich handle es sich um eine Strategie für die Anpassung von Migrant*innen an eine vermeintliche „Leitkultur“, erklärt Asya Markova. Demgegenüber stehen laut Ann-Christin Damm die Integrationsgesetze von Berlin (2010), Nordrhein-Westfalen (2012) und Baden-Württemberg (2015), die insbesondere die Rahmenbedingungen, in denen Integrationspolitik stattfindet, regeln und sich gleichzeitig gegen einen Integrationsbegriff stellen, der eigentlich Assimilation meint. In den Bundesgesetzen wird Integration wiederum als eine „einseitige sanktionsbewährte Verpflichtung“ von Migrant*innen verstanden, wie Armaghan Naghipour analysierte. Drei Teilnehmerinnen des Diskurses „Wege der Integration“ warfen einen Blick auf die Verwendung des Integrationsbegriffes im Bundes- und Landesrecht.
Das Bundesgesetz
Integration. Ein Begriff, der im Bundesrecht häufig verwendet, aber kaum definiert wird. Eine Annäherung, was mit Integration im rechtlichen Sinne gemeint sein könnte, ergibt sich durch einen Blick in das Aufenthaltsgesetz, sagt die Rechtsanwältin Armaghan Naghipour. Zum Beispiel bei der Niederlassungserlaubnis, für die nun eine „gelungene Integration“ notwendig ist, unter anderem sind damit „ausreichende“ Deutschkenntnisse auf B1-Level gemeint. Einige Maßnahmen wurden zudem mit Sanktionen verknüpft. So sind anerkannte Geflüchtete sowie Flüchtlinge mit hoher Bleibewahrscheinlichkeit verpflichtet, an Integrationskursen teilzunehmen. Kommen sie dieser Verpflichtung nicht nach, können Leistungsansprüche gekürzt werden. Ähnlich wie die Integrationskurse werden auch die „Ein-Euro-Jobs“ als „Integrationsvehikel“ bezeichnet. Diese können Asylbewerber*innen zugewiesen werden, sofern die Arbeit zumutbar ist. „Das kann allerdings so ziemlich alles bedeuten“, erklärt Naghipour.
„Der in den Sozialwissenschaften weithin dominanten Feststellung von Integration als einem wechselseitigen Prozess, findet in der Rechtswissenschaft durch einseitige sanktionsbewährte Verpflichtungen von Migrant*innen eine diametrale Aufnahme“, schlussfolgert Naghipour. Zudem zeigt sich, dass der Integrationsbegriff im Bundesrecht an Arbeit und Bildung geknüpft wird, wobei in diesen Bereichen nicht nur Verschärfungen, sondern auch begrüßenswerte Änderungen stattgefunden haben: Das gilt zum Beispiel für die Ausweitung der Zielgruppe, der eine Ausbildungsförderung gewährt werden kann, oder für die AusbildungsduldungUnabhängig vom Alter besteht für Personen, die eine Ausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbaren Ausbildungsberuf absolvieren Anspruch auf Duldung für die gesamte im Ausbildungsvertrag bestimmte Dauer.. Auch der Zugang zum Arbeitsmarkt wurde erleichtert, indem die VorrangprüfungDie Ausübung einer Beschäftigung setzte bislang die Prüfung vonseiten der Bundesagentur für Arbeit voraus, ob bevorrechtigte Personen (dazu zählen deutsche Staatsangehörige, Bürger*innen eines EU- oder EWR-Staates oder sonstige bevorrechtigte ausländische Arbeitnehmer*innen) für die Beschäftigung zur Verfügung stehen. ausgesetzt wurde. Der Entfall der Vorrangprüfung beinhaltet zwar einerseits einen Bürokratieabbau, gleichzeitig kommt es durch die sogenannte Wohnsitzauflage aber zu einem bürokratischen Mehraufwand.
Die bestehenden Regelungen im Zuwanderungs- und Integrationsbereich sollen künftig im Rahmen eines eigenen Einwanderungsgesetzes zusammengefasst werden, wie die aktuelle Bundesregierung ankündigte. Der Sachverständigenrat der deutschen Stiftungen (SVR) für Integration und Migration spricht sich in seinem aktuellen Jahresgutachten „Steuern, was zu steuern ist: Was können Einwanderungs- und Integrationsgesetze leisten?“ für die Einführung eines Einwanderungsgesetzbuchs aus: „Über die Jahre ist aus den verschiedenen Normen zu Einwanderung ein wahrer Dschungel aus verschiedenen Gesetzen und Verordnungen geworden. Ein Einwanderungsgesetz könnte diesen ein Stück weit lichten und neu ordnen“, heißt es dort. Gleichzeitig wäre es ein Signal, um Deutschland als Einwanderungsland zu positionieren, das auf Migration angewiesen ist.
Integrations- und Partizipationsgesetze Berlin, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen
Neben dem Bundesgesetz gibt es deutschlandweit vier Integrations- und Partizipationsgesetze auf Länderebene:
- Gesetz zur Förderung der gesellschaftlichen Teilhabe und Integration in Nordrhein-Westfalen
- Berliner Landesintegrationsgesetz (darin Artikel 1: Gesetz zur Regelung und Partizipation und Integration in Berlin)
- Gesetz zur Verbesserung der Chancengerechtigkeit und Teilhabe in Baden-Württemberg (darin Artikel 1: Partizipations- und Integrationsgesetz)
- Bayerisches Integrationsgesetz
Während sich die ersten drei Gesetze insbesondere auf eine Systemintegration beziehen, geht es im Bayerischen Integrationsgesetz stärker um die soziale Integration einzelner Individuen. Dabei folgen die Integrations- und Partizipationsgesetze von Berlin, Baden-Württemberg (BW) und Nordrhein-Westfalen (NRW) „grundsätzlich nicht der ausschließenden Logik des Aufenthaltsgesetzes des Bundes, welches bei der Integrationsförderung nach Aufenthaltszweck und –dauer differenziert“, erklärt die wissenschaftliche Mitarbeiterin bei MIDEM (Mercator Forum Migration und Demokratie) Ann-Christin Damm.
Die Zielgruppen der drei Länder Berlin, BW und NRW sind – aufbauend auf unterschiedlichen Definitionen – Menschen mit Migrationshintergrund. Die Integration wird gleichzeitig als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden. So heißt es im Gesetz von BW (§3): „Integration ist ein gesamtgesellschaftlicher Prozess, dessen Gelingen von der Mitwirkung aller Menschen abhängt. Anerkennung und Respekt aller Menschen unterschiedlicher Herkunft sowie Offenheit für andere Kulturen wirken integrationsfördernd.“ Ähnlich wird Integration auch im Berliner Gesetz (§1, Abs. 2) definiert: „Integration ist ein gesamtgesellschaftlicher Prozess, dessen Gelingen von der Mitwirkung aller Bürgerinnen und Bürger abhängt. Erfolgreiche Integration setzt sowohl das Angebot an die Bevölkerung mit Migrationshintergrund zur Beteiligung als auch den Willen und das Engagement der Menschen mit Migrationshintergrund zur Integration voraus.“ In NRW stellen ein Bewusstsein für Offenheit, Veränderungsbereitschaft und gegenseitige Toleranz, das Erlernen der deutschen Sprache, der Förderung gegenseitigen Respekts und die interkulturelle Öffnung die Grundsätze der Integration dar. Zudem gilt es, so heißt es im NRW-Gesetz, soziale, kulturelle und ökonomische Potentiale anzuerkennen.
„Integrationsgesetze können die individuelle Integration von Zuwander*innen nicht regeln, aber Integration als Querschnittsaufgabe in der Verwaltung verankern und Rahmenbedingungen so gestalten, dass sie Integration fördern“, schlussfolgert Damm aus ihrer Analyse. Ein Fazit, auf das auch der SVR kommt. In der Studie „Papiertiger oder Meilensteine? Die Integrationsgesetze der Bundesländer im Vergleich“ heißt es, dass Integrationsgesetze alleine „eine sachgerechte Integrationspolitik oder bessere Teilhabemöglichkeiten nicht garantieren“ können. Vielmehr kommt es auf die konkreten Maßnahmen an, die umgesetzt werden. Das Potential von Landesintegrationsgesetzen sei jedoch eine bessere Koordinierung der Integrationspolitik sowie die Aufwertung dieser – sowohl auf politischer als auch auf gesellschaftlicher Ebene.
„Besonders wirksam können Integrationsgesetze sein, wenn sie einen breiten politischen Konsens formulieren und den Rückhalt der migrantischen Gemeinschaften ebenso wie anderer zivilgesellschaftlicher Akteure haben. Dann stehen die Chancen gut, dass auch die praktische Umsetzung der im Gesetz formulierten Grundsätze von allen Beteiligten mit Elan verfolgt wird“, so das Fazit von Cornelia Schu, Geschäftsführerin des SVR und Direktorin des SVR-Forschungsbereichs. Auch im aktuellen SVR-Jahresbericht wird betont, dass die Öffnung des Bildungssystems oder des Arbeitsmarktes für eine vielfältige Gesellschaft zentraler sei als spezifische Integrationsgesetze.
Das Bayerische Integrationsgesetz
Während sich die Integrationsgesetze von Berlin, BW und NRW gegen eine kulturelle Assimilation stellen, geht es dem bayerischen Integrationsgesetz in erster Linie um die individuelle Integration, um die Formulierung von Erwartungen an zugewanderte Personen, um die „Definition von Mechanismen zum Schutz der ‚Leitkultur‘“, wie die Philosophin und Anthropologin Asya Markova erklärt. Markova ist selber von Bulgarien nach Bayern zugewandert und bestand 2017 den Einbürgerungstest erfolgreich. Dass eine der Multiple-Choice-Fragen im Rahmen dieses Tests nach dem zuständigen Amt für die Registrierung von Hunden fragt, ist nicht nur für Markova irrelevant, sondern kann „nicht auf derselben Ebene relevant für die Qualifizierung zur Einbürgerung sein, wie die Fragen nach Grundprinzipien des Staates oder nach Deutschlands geschichtlicher Verantwortung für den Holocaust“, so die Philosophin.
Es ist ein Beispiel, das das Integrationsverständnis der bayerischen Politik auf den Punkt bringt. Das Auswendig-Lernen dieser oder anderer ähnlicher Antworten kann nur das Maß der Anpassung an eine „Leitkultur“ messen, nicht jedoch tatsächlich integrative Prozesse, so Markova weiter. Dieses Integrationsverständnis zeigt sich auch im Integrationsgesetz: So heißt es bereits in der Präambel und im ersten Artikel des bayerischen Integrationsgesetzes, dass es um die Förderung und Forderung von Integration in die bayerische und deutsche Leitkultur geht. Damit sind nicht nur demokratische Grundprinzipen oder Werte der Aufklärung gemeint, sondern auch eine „abendländische und christliche Kultur“ genauso wie „typische bayerische Sitten und Gebräuche“.
„Alle Kinder in Kindertageseinrichtungen sollen zentrale Elemente der christlich-abendländischen Kultur erfahren“, heißt es beispielsweise in Artikel 6 des Integrationsgesetzes. In Artikel 11 wird der Bayerische Rundfunk dazu aufgefordert zur Verbreitung dieser „Leitkultur“ beizutragen. Laut Markova werden so die bayerischen Sitten und Gebräuche klar priorisiert: „So wie dieser Begriff im Bayerischen Integrationsgesetz verwendet wird, impliziert er, dass Weißwurst höher zu stellen als Döner ist, dass Anpassung vernunftbasierter Kritik vorzuziehen ist, dass Christentum wertvoller als Agnostizismus, Atheismus oder Islam ist.“ Dies stehe wiederum im Widerspruch zu demokratischen Grundprinzipien und der individuellen Selbstbestimmung.
Dementsprechend wird aus Markovas Sicht Integration auch nicht als gesamtgesellschaftlicher Prozess verstanden, sondern lediglich an Migrant*innen adressiert. Auch die Achtung der Rechts- und Werteordnung nach Artikel 13 und 14 sieht sie ausschließlich seitens der Migrant*innen thematisiert: „Das Gesetz adressiert keine einheimischen Anti-Demokraten, Rassist*innen, Sexist*innen oder Rechtsradikale. Demonstratives fremdenfeindliches Verhalten der Rechtsradikalen wird nicht sanktioniert. Der Gesetzgeber scheint davon auszugehen, dass sie gut in die Leitkultur integriert sind, obwohl sie demokratische Grundprinzipien ablehnen und auch angreifen“, so Markova. Zutiefst antidemokratische Vorstellungen werden so normalisiert, während von Migrant*innen eine blinde und strategische Anpassung gefordert und damit die Fähigkeit zur kritischen Reflexion unterdrückt wird, fasst Markova ihre Analyse zusammen.